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TRAGISCHE GLAUBENSPRÜFUNG - "Dialogues des Carmelites" von Francis Poulenc im Wilhelmatheater STUTTGART

Premiere am 8.6.2023

Mönch und Lausbub hat man ihn genannt und Igor Strawinsky war sein Vorbild - die Rede ist von Francis Poulenc, der sich der Führung von Erik Satie und Jean Cocteau anvertraute und kleinere Formen eigentlich bevorzugte. Doch auch dem Musiktheater fühlte er sich verbunden, was seine nach einer Novelle von Gertrud von le Fort im Jahre 1957 entstandene Oper "Dialogues des Carmelites" beweist, die jetzt von der Opernschule der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart in einer packenden Inszenierung von Franziska Severin präsentiert wurde.

 

Copyright: W. Silveri

Poulencs Hang zur Groteske und Ironie tritt hier eher zurück. Statt dessen blühen dramatische Schlagkraft und rhythmische Präsenz regelrecht auf. Am 17. Juli 1794 wurden 16 Karmeliterinnen von Compiegne in Paris durch die Guillotine hingerichtet, da sie sich geweigert hatten, ihr Ordensgelübde zu brechen. Singend bestiegen sie das Schafott. Die Inszenierung bringt die Vielfalt von Gefühlen zwischen Angst, Mut, Sorglosigkeit und Panik in überzeugender Weise zum Vorschein. Die junge Adelige Blanche de la Force hofft, ihre ständige "Angst vor der Angst" im Kloster zu überwinden. Doch auch der geschützte Raum des Ordens wird durchlässig für die Sorgen der Schwestern. Sie werden mit der grausamen Realität der Französischen Revolution konfrontiert, denn die Revolutionsgarden zwingen die  Nonnen, ihr religiöses Leben aufzugeben. Der Orden wird aufgelöst und alle Nonnen werden verhaftet. Blanche flieht, doch am Ende besteigt sie ebenfalls das Schafott - befreit von ihrer Angst.

Bühne und Kostüme von Michael S. Kraus unterstreichen hier die historischen Bezüge deutlich. Zu Beginn sieht man eine große Bibliothek, die dann einer Rundbühne mit einer schwarzen Wand Platz macht, auf der "Liberte, Egalite, Fraternite" und sogar "Freedom" steht. Mme de Croissy sieht als sterbende Priorin in glühenden Visionen im Bett das Ende der Ordensgemeinschaft voraus. Zuletzt dominieren rote Stäbe auf der Bühne, die wie Speere aussehen und auf das blutige Geschehen hinweisen. Hervorragend gelöst ist die Hinrichtungsszene, wo eine Nonne nach der anderen durch eine Drehtür verschwindet, wobei das Licht blitzschnell ausgeht und der dumpfe Schlag der Guillotine erklingt. Diese Schlussszene besitzt eine sehr starke Konsequenz und innere Logik, die den Zuschauer nicht mehr loslässt. Sie ist szenisch zweifellos am besten gelungen.

Auch musikalisch kann diese Aufführung in mehr als einer Hinsicht fesseln. Unter der inspirierenden Leitung von Bernhard Epstein musiziert das Stuttgarter Kammerorchester zusammen mit Studierenden der Instrumentalklassen der Musikhochschule mit viel Sinn für die harmonische Farbigkeit dieser Partitur, deren impressionistische Feinheiten immer wieder hervorblitzen. Anklänge an Johann Sebastian Bachs Kantate "Wer nur den lieben Gott lässt walten" begleitet in bewegender Weise das Martyrium der Ordensschwestern.

Die Oper beginnt und endet mit demselben Motiv, mit dem Poulencs "Agnus Dei" aus seiner Messe in G-Dur endet.  Das Opferlamm-Motiv erscheint dann auch im Orchestervorspiel zum 3. Bild  des zweiten Aktes. Auch expressionistische und neoklassizistische Klangformen besitzen dabei neben ostinaten Begleitmechanismen eine große Präsenz. Selbst Richard Wagners Tristan-Akkord ist herauszuhören. Tremolo- und Pizzicato-Figuren werden von chromatischen Passagen und nicht aufgelösten Vorhalten begleitet. Bernhard Epstein gelingt es vorzüglich, die Bezüge zu Poulencs Kammermusikwerken herzustellen.

Themen und Motive sowie melancholische Melodien und Wendungen prägen sich ein, und auch die dynamischen Kontraste verblassen nicht. Den sakralen Passagen gewinnt Epstein nicht nur beim Märtyrermotiv mit der Modulation zur Todestonart es-Moll eine geradezu unheimliche Deutlichkeit ab. Poulencs Sehnsucht nach der großen Form tritt vor allem am Ende der Oper deutlich hervor, wo die Sängerinnen einen grandiosen Auftritt haben.

Jutta Hochörtler gewinnt als Blanche de la Force ihren Kantilenen eine stählerne Leuchtkraft  ab, deren Intensität sich im Laufe des Abends ungemein steigert. Auch Annija Adamsone als Soeur Constance, Pavlina Chamantne als neue Priorin Mme Lidoine, Lana Maletic als Mere Marie, Melis Vlahovic als La Prieure (Mme Croissy), Julia Hinger als Soeur Mathilde, Thalia Hellfritsch als Mere Jeanne und Leandra Nitzsche als Soeur Catherine bieten bewegende Rollenporträts, wobei die Psychologie der Figuren immer im Vordergrund steht. Auch die männlichen Partien sind opulent besetzt. Frazan Adil Kotwal besitzt als Marquis de la Force ebenso starke Bühnenpräsenz wie Piotr Gryniewicki als Chevalier  de la Force sowie Robin Neck als L' Aumonier. Hannes Nedele als Thierry/M. Javelinot sowie als 1er Officier, Yuli Zhang als 1er Commissaire, Jonathan Macker als 2eme Commissaire, Frazan Adil Kotwal als Le Geolier sowie Thalia Hellfritsch, Julia Hinger, Maryam Jalalikandy, Saskia Maas, Leandra Nitzsche, Vladyslava Poian, Lara Rieken und Ashkhen Varzhapetyan als Religieuses liefern den Beweis für die erstaunliche klangfarbliche Vielfalt dieses Werkes.

Neben bitonalen Sequenzen überwältigen bei dieser Wiedergabe immer wieder die eruptiven Ausbrüche und illustrativen Spitzfindigkeiten, mit denen Poulencs Partitur aufwartet. Die Männer sind hier allesamt schamlose Karrieristen und Mitläufer, während Mere Marie als einzige Überlebende quasi im Lichtkegel der Zeitgeschichte steht und die erschütternde Geschichte der Karmeliterinnen im Jahre 1834 aufschreibt. 16 Mal ertönt das Geräusch des Fallbeils, das sich bei dieser Aufführung ins Gedächtnis einbrennt.

Am Ende Jubel, tosender Schlussapplaus für eine famose Gesamtleistung.
 

 

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