Vielleicht ist ja die Zeitgenossenschaft der einzige Verein, in dem wir alle Mitglieder sind. Ein- und Austritt erfolgt durch Geburt und Tod. Wir sind Zeitgenossen, soviel steht fest. Alles andere scheint offen zu sein, flüchtig, veränderbar. Es ist verführerisch, die Wahl zu haben, sich neu erfinden zu können, sich nicht festlegen zu müssen. Doch mit dem Gewinn an Möglichkeiten kommt das Gefühl, die Orientierung und den Überblick verloren zu haben. Im Angesicht aller Chancen wollen wir das Beste aus uns machen – und sind nie sicher, ob nicht ein anderer Weg der bessere gewesen wäre. Wie werden wir unsere Zweifel los? (In der Strafkolonie).
Wie inmitten unserer „flüchtigen Moderne“ einen Halt finden und eine
Haltung? Wie sich von etwas abstoßen, wie einen Gegner bekämpfen, der nicht mehr fassbar ist, wie ein System, das uns trägt? (Herakles oder die Hydra). Das Problem ist: Die Erosion der Meinungen und Gedanken spielt sich bei vollem Bewusstsein ab. Nie waren wir klüger, und nie verlorener mit der Ahnung, dass das Wissen kein Weg zum Glück ist (Ödipus). Verheißungsvolles, oft zitiertes Heilmittel im Dauerlauf scheint das „Leben im Jetzt“. Doch wie können wir aus dem Rennen aussteigen, den Augenblick zum Verweilen bringen? (Faust). Wie können wir eine Auszeit nehmen?
Auszeit heißt zweierlei: Aus der Zeit heraus zu treten, um sie betrachten zu können, aber auch: eine Sicht zu entwickeln aus unser Zeit heraus. Es geht um einen Blick auf die Zeit und aus der Zeit. Es geht um den Versuch, die ausgewählten Texte in der Informations- und Bilderflut des „Jetzt“ zur Landgewinnung einzusetzen. Vielleicht ist ihnen deshalb eine Genauigkeit und Dichte in der Sprache gemeinsam, damit sie nicht so leicht weggespült werden können. Denn woraus ist der Stoff, aus dem die Sprache ist? Aus Klang, aus Rhythmus und aus Zeit.
Freitag, 25. April, 19.30 Uhr und Sonntag, 27. April, 20 Uhr
HERAKLES 2 ODER DIE HYDRA
von Heiner Müller
Wo, Wer oder Was ist der Feind? Großer Gott, gib ihn uns zurück! Und was kommt nach der Erkenntnis? Wie sieht die Schlacht aus, die einer kämpft gegen ein System, das sie/ihn enthält, und wie die Maschine, die das alles noch denken kann? Herakles geht durch den Wald, um dort die Hydra zu töten. Auf dem langen Marsch in den Kampf gehen ihm Zeit, Raum und Sprache verloren. Die Schlacht beginnt, als er merkt, dass Wald und Ungeheuer eins sind, und endet nicht, als er erkennt, dass er selbst der Wald ist, den er durchstreift, er selbst das Tier ist, das er jagt und unerbittlich bekämpft.
Franziska Henschel wurde 1976 in Ostberlin geboren. 1996-2000 Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig, 2000-2005 festes Ensemblemitglied am Niedersächsischen Staatstheater schauspiel-hannover, Leitung eines Theaterjugendclubs, Stückentwicklungen mit Laien, Dramaturgie von Veranstaltungen im Rahmen der Reihe ‚Alice in Cumberland’
Seit 2005 Regiestudium in Hamburg. Studienprojekte: ‚Die kleine mehr Jungfrau’ nach H.C. Andersen, und ‚Ein Traumspiel’ von August Strindberg.
Regie Franziska Henschel
Bühne Susanne Fehenberger
Bühne und Kunst Felix Wangerin
DarstellerIn Iris Minich (Text), Phillipp van der Heijden (Tanz), Sebastian Deufel (Musik)
Kunst Stefan Hauberg
Freitag, 25. April, ca. 21 Uhr und Sonntag, 27. April, ca. 21.30 Uhr
IN DER STRAFKOLONIE
nach der Erzählung von Franz Kafka
In der Strafkolonie stehen ein Reisender und ein Offizier vor einem merk-würdigen Apparat. Diese Maschine schreibt einem Verurteilten sein Vergehen auf den Leib, so dass er es mit seinem Körper lesen kann, bevor er daran stirbt. Für den Offizier ist das grausame Verfahren ein „zutiefst menschenwürdiges“. Warum? Was sieht er in den Augen der Verurteilten in dem Moment, in dem sie die Schrift von innen entziffern? Darf der Reisende sich einmischen? Oder anders: Muss er nicht sogar?
„In seinen europäischen Anschauungen befangen“, begegnet er jemandem, der sich einer Sache im wahrsten Sinn des Wortes mit Leib und Seele verschrieben hat.
Alexander Riemenschneider wurde 1981 geboren, aufgewachsen im Rheinland. Studium der Germanistik, Musik- und Medienwissenschaft in Bonn. Als Musiker auf Tour mit Bands und am Theater Bonn, ab 2003 dort Regieassistent. Seit 2005 Regiestudium in Hamburg. Studienprojekte: ‚Schutt’ von D. Kelly. ‚Mit dem Feuer spielen’ von A. Strindberg. ‚Der Schaum der Tage’ nach dem Roman von B. Vian.
Regie Alexander Riemenschneider
Bühne Rimma Starodubzeva
Kostüme Alexandre Corazzala
Dramaturgie Daniel Richter
Es spielt Lisa Arnold
Samstag, 26. April, 19.30 Uhr und Sonntag, 27. April, 16 Uhr
URFAUST
von Johann Wolfgang von Goethe
Faust und Gretchen sind auf der Suche, auf der Suche nach einem Augenblick, der sie die Sinnhaftigkeit des Lebens spüren lässt, auf der Suche nach einem Halt in einer sich immer schneller drehenden, nicht mehr fass-baren Welt. Faust, der glänzende Rhetoriker, dessen maßlose Sehnsucht die Wissenschaft nicht stillen konnte, gibt die Verantwortung für sein Schicksal ab. Der Zugang zu seinem Gefühl und zu Gretchen, kann nur über das teuflische Prinzip hergestellt werden – über Mephistopheles, einer Figur größten Zynismus´ und unsterblicher Leere. Gretchens Fähigkeit zu absoluter Hingabe, Gefühl und Glauben wird in der Begegnung mit Faust und dem Teufel aufgerieben. Sie wird gleichsam Opfer, Verführte sowie Schuldige. Am Ende bleibt die Frage, wo das endlose Streben ein Ende findet und ob es ihn gibt, den Augenblick, zu dem wir sagen wollen: „Verweile doch! Du bist so schön!“
Kristina Ohmen wurde 1981 in Hamburg geboren. Von 2001 bis 2004 diverse Regiehospitanzen und Assistenzen am Thalia Theater Hamburg u.a. bei Michael Thalheimer, Stephan Kimmig, Armin Petras, David Bösch. 2004 eigene Re-giearbeit in der Thalia-Theaterbar Nachtasyl zum Thema Heimat. Seit 2005 Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg. Studienprojekte: ‚the killer in me is the killer in you my love’ von A. Beyeler. ‚Der einsame Giftpilz’ Collage zu August Strindberg.
Regie Kristina Ohmen
Bühne Anja Kreher
Kostüme Christel Bergmann
Musik Mart Barczewski Dramaturgie Meike Schmitz Video Josha Sliwinski
Es spielen Anna Blomeier (Marthe), Betty Freudenberg (Gretchen), Jörn Knebel (Faust), Martin Wolf (Mephistopheles)
Samstag, 26. April, 21 Uhr und Sonntag, 27. April, ca. 17.30 Uhr
ÖDIPUS
nach Friedrich Hölderlin
In Theben herrscht die Pest. Hilflos wendet das Volk sich an seinen König: Ödipus soll die Stadt von der göttlichen Strafe befreien. Der ungesühnte Tod am früheren König, weissagt das delphische Orakel, laste auf der Stadt. Entschlossen will Ödipus den Schuldigen zur Verantwortung ziehen. Doch die Suche nach dem Mörder wird zur Frage nach der eigenen Identität. Während die Wahrheiten seines Lebens sich ihm immer klarer entfalten, schwindet die Möglichkeit, weiter zu herrschen, weiter zu leben.
Woraus besteht das Jetzt? Wie gehen wir mit Wissen um? Verteidigen wir mit Selbsttäuschung und Vergessen unsere Gegenwart oder stellen wir uns einer Wahrheit, die vielleicht größer ist, als wir tragen können?
„Was soll, das breche.“
Felix Rothenhäusler, geboren 1981, Regieassistenzen beim Film und Theater, u.a. am Stadttheater Konstanz und Staatstheater Stuttgart, 2007 Hospitanz bei Andreas Kriegenburg am Thalia Theater Hamburg. 2002 Studium der Theater- und Medienwissenschaften in Bayreuth und Paris. Seit 2005 Regiestudium an der Theaterakademie Hamburg. Mit dem Studienprojekt II ‚Fräulein Julie’ von August Strindberg eingeladen zum VII. Internationalen Regiekongress in Moskau. Weitere Arbeiten u.a.: ‚Stephen der Held’ nach James Joyce, ‚He Joe’ von Samuel Beckett und ‚Wir wollen den Messias jetzt’ von Franzobel am St. Pauli Theater Hamburg.
Regie Felix Rothenhäusler
Bühne Daniel Wollenzin
Kostüme Katharina Kownatzki
Musik Matthias Krieg Dramaturgie Friederike Trudzinski
Es spielen Karin Enzler, Isabell Giebeler, Matthieu Svetchine, Kai Meyer
In Kooperation mit dem Thalia Theater
www.theaterakademie.hfmt-hamburg.de