Zwischen Azaleen und Lilien versucht Ophelia (Neele Buchholz) mithilfe von Krankenschwester Gertrud (Maja Zećo) der Zentrale jener Bürokraten und Ärzte zu entgehen, die in der Tiergartenstraße 4, Berlin, nach ideologischen Maßstäben »ökonomischer Brauchbarkeit« über Leben und Tod entscheiden.
Die Inszenierung von David Stöhr und Ensemble behandelt dabei die Frage, wie das Verbrechen an psychisch Erkrankten, geistig und körperlich behinderten sowie »rassisch« und sozial unerwünschten Personen aus einer Position der Betroffenheit heraus dargestellt werden kann.
Am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, stellt sich einmal mehr und nicht zuletzt die Frage, wie der Verbrechen der NS-»Euthanasie« gemahnt werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zeugengenerationen bald nicht mehr sprechen werden, bleibt offen, wer im öffentlichen Erinnerungsdiskurs noch Gehör finden wird.
Zumal ein selbstbestimmtes Handeln von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft immer noch behindert wird, und sie gerade an einem solchen Tag des Gedenkens nicht ohne Weiteres zum selbstbestimmten Anteil der Gesellschaft gehören. Doch woher rührt diese Anteillosigkeit? Etwa aus einer Kontinuität der »Rassenhygiene«, die unter neoliberalem Vorzeichen als Eugenik der Selbstverwirklichung erscheint? Jedenfalls halten wir es für keinen Zufall, dass ausgerechnet auf jenem Grundstück, auf dem die Zentralbehörde der Mordaktion »T4« ihre sterilen Todesurteile auf willkürliche Dokumente stempelte, heute die Berliner Philharmonie zur Feier einer ästhetisierten Gesellschaft läutet. Sollte Kunst als Selbstverwirklichung etwa nichts anderes als kulturelle Verdrängung sein?
Vielleicht kann es deshalb um nichts anderes als die Verwirklichung eines verdrängten Selbst gehen. Mit T4. Ophelias Garten publizierten der italienische Regisseur Pietro Floridia und sein Ensemble 2006 ein historisch fundiertes Drama, das die Traumata der Opfer nicht einfach wiederholt, sondern das undarstellbare Grauen als den Bach antizipiert, in dem Ophelia immer schon ertrinken wird. Oder nicht? Zumindest verschiebt sich das Augenmerk auf die Titelfigur selbst.
Bisher wurde Ophelia in diesem Stück nur von Menschen ohne Behinderung gespielt. Mit Neele Buchholz wird nun erstmals eine Schauspielerin mit Trisomie 21 die Titelfigur und damit auch ihre erste Hauptrolle übernehmen. Die
Inszenierung versteht sich dabei weniger als ein Inklusionstheater, das allzu oft exklusiv bleiben muss, denn als Raum, in dem eine Schauspielerin ihren Traum, selbstbestimmt auf dem ersten Arbeitsmarkt gefragt zu sein, ein Stück mehr verwirklichen kann – alles weitere ist Theater.
Im Rahmen der Inszenierung wird es auch vier Panel-Diskussionen geben, die jeweils im Anschluss an eine Vorstellung unterschiedliche Aspekte der Stückthematik durch Expert*innen beleuchten. Die erste Diskussion widmet sich am 11. Februar dem Komplex »Erinnern ohne „uns“«.
Regie: David Stöhr
Dramaturgie: Dirk Brauner
Bühne und Kostüm: Saskia Göldner
Musik und Komposition: Lasse Winkler
Fotos: Daniela Buchholz
Video: Florian Baumgarten, Moritz von Dungern
Mit: Neele Buchholz, Maja Zećo, Sandra Bourdonnec
Eine Veranstaltung des Theater unterm Dach in Kooperation mit David Stöhr