Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Stadt und Kunst e.V., Gert Neuner: "breathe", Film-Schauspiel-Performance in MünchdenStadt und Kunst e.V., Gert Neuner: "breathe", Film-Schauspiel-Performance in...Stadt und Kunst e.V.,...

Stadt und Kunst e.V., Gert Neuner: "breathe", Film-Schauspiel-Performance in Münchden

19. bis 21. August 2021, 20.15 Uhr Völderndorffstraße / Nähe Scheidplatz, Eintritt frei

„breathe“ bezieht Stellung zu den Verwerfungen der Jahre 2020/2021. In der Regie von Gert Neuner spielen zwei Protagonistinnen (Sophie Wendt, Gabi Graf) spielen markante Ereignisse aus verschiedenen Epochen (1917/18, 1939-1945, 2020/2021) und relativieren unsere heutigen Sorgen. Der Performer Carlton Bunce führt von dem Vergessenen (1918/19) zur Erinnerung (1939-1945) in die Gegenwart. Immer wieder drängt sich die Frage auf: Wäre uns nicht die Gnade der späten Geburt zuteilgeworden, wie hätten wir damals entschieden?

 

Copyright: Volker Derlath

„breathe“ beschreibt die Freiheit und das Ersticken, führt vom belgischen Eupen 1917 (Gas) über die Spanische Grippe 1918/19 zu Hitlers Diktatur und zum Widerstand der Weißen Rose bis in die Gegenwart und schaut auf die Massenproteste, die Vereinzelung des Bürgers, die Schnelllebigkeit der Zeit, die angstvolle Stille, die gigantische Schuldenaufnahme des Staates, die wirtschaftlichen Bedrängnisse, den Widerstand der Schreibürger, die Angst vor dem einsamen Tod. Das Erstarken der AFD, die Infiltration der KSK, der Polizei: Sinnbild unserer Zeit.

Zwei dreißigminütige Filme von HFF-Studenten, die auf die Betonwand projiziert werden: Jemand hält Zwiesprache mit einem Fisch. Eine Richterin verschläft ihren Termin. Eine Frau mit verbundenen Händen sieht die Welt auf eigene Weise. Einem Studenten fällt die Bude auf den Kopf, dann erscheint ihm die Mutter Maria. Der Schauspieler zieht eine Stoßstange auf den Schuttberg. Man hört Auszüge aus der Freisler-Rede, aus Sophie Scholls Widerstands-Lied, am Ende eine Eisdiele am Strand, Mare Nostrum.

Der Spielort ist geschichtsträchtig: An der Völderndorffstraße beim Scheidplatz steht das Willi-Graf-Gymnasium. Der verschattete Ort vor der mit Graffitis überzogenen Rückwand des Gymnasiums an der Völderndorffstraße, den ein Sträßlein einbremst, schwingt sich gegenüber dem geteerten Weg zum lichten Hügel auf. Luft- und Sonnenhungrige schauen auf dem Gipfel des begrünten Schuttbergs über Schwabing West. Die Wanderer atmen auf den Trümmern ihrer Stadt. Wie eine Wehr sperrt sich die Wand der Bildungsstätte rau gegen das Vergessen. Wilde, fiebrige Farbsignale, auf die Betonplatten gehetzt, gesprüht, erzählen von Freiheit und Kampf.  Ausgrenzung, Wut, die Einsamkeit der Widerstandskämpfer in der Nacht vor dem Schafott sind hier manifestiert. Gert Neuner: „Das Vergessen wächst wie das Gras den Hügel hinauf über die vergangene Schuld. Wir sollten uns daran erinnern, sie mit unseren heutigen Nöten abgleichen und unsere Ängste neu justieren.“

Der Blick über Schwabing ist der Blick auf die Vereinsamung der Bürger, auf die schlaflosen Nächte der um ihre Existenz Bangenden, auf die sichtbar geworden Risse in unserer Gesellschaft.

Der Regisseur, Autor und Performancekünstler Gert Neuner (ETA Theater, Stadt und Kunst e.V.) produziert seit 1983 experimentelle Theaterprojekte. Er experimentiert seit Anfang der achtziger Jahre in seinen Stücken mit Sprache, Bewegung, Ton und Raum, setzt mit filmischen Mitteln wie Schnitt, Gegenschnitt, Zeitlupe oder Rückblende Szenen zusammen oder zerschlägt sie und improvisiert mit seinen Schauspielern so lange, bis die Grenzen zwischen Montage und Demontage verschwimmen.

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 15 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

IM REICH DER RHEINMÄRCHEN -- Stuttgarter Philharmoniker mit Lise de la Salle im Forum am Schlosspark LUDWIGSBURG

Es war eine besondere Begegnung von Robert Schumann und Franz Liszt, die sich persönlich gut kannten. Unter der temperamentvollen Leitung von Jan Willem de Vriend (derzeit Chefdirigent des Wiener…

Von: ALEXANDER WALTHER

DAS MARMORSTANDBILD LEHRT DAS GRUSELN -- "Don Giovanni" von Mozart im Theater HEILBRONN

"Don Giovanni glaubt vielleicht sogar an Gott, er will nur nichts von ihm hören, da dies sein Genussleben stören würde", meinte Bertolt Brecht. Don Giovanni kennt auch in der subtilen Inszenierung von…

Von: ALEXANDER WALTHER

HYSTERIE AM SPIELTISCH -- "Der Spieler" nach Dostojewskij von Sergej Prokofjew in der Staatsoper STUTTGART

In der suggestiven Inszenierung von Axel Ranisch wird die Geschichte ganz aus der Sicht Polinas als Stieftochter des Generals erzählt. Sie will ihren widrigen Lebensumständen unbedingt entfliehen.…

Von: ALEXANDER WALTHER

TRÄUMERISCHE VISIONEN -- Neue CDs beim Label naïve: Brahms' Klavierkonzerte mit Herbert Schuch und den Bochumer Symphonikern

Für den rumänischen Pianisten Herbert Schuch gibt es keine Alternative zu den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms. Keine anderen Konzerte würden die große Geste, virtuos dramatische…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMA UNTER DEM STERNENHIMMEL -- Puccinis "La Boheme" mit der Opernschule der Stuttgarter Musikhochschule im Wilhelma-Theater STUTTGART

In der Regie von Franziska Severin rückt die bewegende Geschichte der bitterarmen Frau Mimi deutlich in den Mittelpunkt. Sie ist wie Musetta auf der Suche nach dem Glück. Und die vier jungen Männer um…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑