Am Anfang war die Fahne: ihre graphische Ästhetik, ihre mathematische Symmetrie, ihre Einzigartigkeit, ein Farbenspiel wie man es nur im grellen Sonnenlicht eines Schweizer Bergsees erlebt, wenn man eine Tube leuchtenden Rots auf weißes Papier drückt. Schnell fließen die Assoziationen um Formen und Farben, um Mythen und Klischees, Reales und Projeziertes. Sie kristallisieren sich an Motiven und Bildern, in denen es denn auch nicht um Schweizer Befindlichkeiten geht, sondern um das, was durch einen derart entrückten Moment in einer Nichtschweizerin entsteht.
Die Schweizer Fahne ist Chiffre und ungebrochene Projektionsfläche für die vielfältigsten Sehnsüchte der Nichtschweizer: Wohlstand, basisdemokratisches Gemeinwesen, landschaftliche Schönheit, kulturelle Vielfalt, ein langsamerer Pulsschlag. Es sammeln sich die Klischees wie schillernde Perlen um das berühmte Körnchen Wahrheit. Und interessant wird es, wenn der zum «verkitschten» Klischee degenerierte Mythos des Tellschen Apfels selbst wieder zum Mythos wird.
Wie so oft bei der Betrachtung besteht das Perfekte nur aus der Ferne. Je näher man kommt, desto auffälliger werden die Risse, Ungenauigkeiten, die ungerade Linie. Ganz aus der Nähe sieht man, wie sehr das glatte weiße Kreuz aus ungeraden, unebenen, schiefen, ungleich langen Seiten besteht, in denen man aber zugleich seine Individualität und damit seinen Charakter erkennt.
Vielleicht können «echte» Schweizer ein Lied von derlei Betrachtungen singen, vielleicht geht ihre Selbstwahrnehmung aber auch völlig andere Wege.
Elisabeth Hoffmann
geboren 1969 in Wesseling bei Köln. Arbeitet und lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Weinheim an der Bergstraße bei Heidelberg.
Wer hat’s erfunden? – Eine Schweiz-Revue
Premiere der Uraufführung am 23. Mai 2008, 20.00 Uhr — Schauspielhaus
Ausstellung vom 23. Mai bis 22. Juni 2008, an Vorstellungstagen ab eine Stunde vor Vorstellungsbeginn, der Eintritt ist gratis.