Es liegt im Wesen der Wissenschaft, zu irren. Vermeintliche Kausalitäten stellen sich im Nachhinein als Fehlschlüsse heraus, Erklärungen von Forschern und Forscherinnen, nach denen wir unser Weltbild aufbauten, müssen revidiert werden. Wissenschaftliches Arbeiten kann nur dann produktiv sein, wenn es eben nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Doch wie ertragen wir diese Unsicherheit in einer extrem komplex gewordenen Welt, in der wir jeden Tag auf die Meinungen von Expert*innen angewiesen sind? Und wem schenken wir Glauben, wenn kritische Stimmen beginnen, Zweifel an den Erkenntnissen der Forschung zu säen und uns ein anderes Wirklichkeitsnarrativ – eine andere Ordnung der Dinge – präsentieren?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Wahrheitsexperiment Un/true von Regisseur Gernot Grünewald. Die Zuschauer*innen werden auf einem interaktiven Parcours durch ein Netz aus Informationen geführt – welchen davon sie jeweils Glauben schenken, müssen sie selbst entscheiden. Anhand des Themas um die neue 5G-Technologie und Handystrahlung im Allgemeinden, die schon seit geraumer Zeit von einigen Seiten kritisiert wird, untersuchen Regisseur Gernot Grünewald und Videokünstler Thomas Taube, welche Mechanismen uns dazu führen, an wissenschaftlichen Fakten ebenso zu zweifeln wie an den Zeugenberichten von Betroffenen.
Alle Zuschauer*innen folgen auf der Bühne des Kammertheaters individuellen Videowalks, die sie einzeln durch verschiedene Räume leiten. Mit Tablets und Kopfhörern sehen sie alle einen Film, in dem sie Expert*innen und Kritiker*innen der 5G Technologie begegnen, verschiedensten Meinungen ausgesetzt sind und zu einer eigenen Einschätzung finden müssen. Immer wieder werden die Filme von Live-Momenten mit Schauspieler*innen des Ensembles unterbrochen, in denen auf die psychologischen Vorgänge und Effekte eingegangen wird, die unsere Wahrnehmung steuern. In kurzen Experimenten werden die Zuschauer*innen mit häufigen Trugschlüssen oder Verhaltensmustern konfrontiert, die uns dazu führen, hinter allem einen Zusammenhang zu vermuten und gar der Wissenschaft zu misstrauen.
Doch auch der Raum selbst wird in Frage gestellt. Wer beobachtet wen? Welche Informationen bekommen die anderen auf ihren Tablets? Ist es überhaupt möglich, den Figuren und Geschichten in einem Theaterraum neutral und unvoreingenommen zu begegnen? Und letztendlich bleibt die Frage: Wie konstruieren wir unsere Wirklichkeit?
Inszenierung: Gernot Grünewald
Bühne: Michael Köpke,
Kostüm: Barbara Kiss, Natalie Nazemi,
Video: Thomas Taube,
Musik: Daniel Sapir,
Licht: Stefan Maria Schmidt,
Dramaturgie: Christina Schlögl
Mit: Therese Dörr, Katharina Hauter, Elias Krischke, Jannik Mühlenweg, Peer Oscar Musinowski, Sebastian Röhrle
Ein Werkauftrag für die Frankfurter Positionen 2021 – Festival für neue Werke. Eine Initiative der BHF Bank Stiftung
Weitere Vorstellungen:
28. und 29. Jun, 14. / 15. / 16. / 17. und 18 Jul 21 (jeweils 20:00 im Kammertheater)
3. und 4. Jul in Frankfurt im Rahmen des Festivals Frankfurter Positionen
Die Veranstaltung ist nicht barrierefrei. Während der Vorstellung wird das Publikum aufgefordert, sich selbständig, von einem Tablet und Kopfhörern angeleitet, durch den Raum zu bewegen.