Wie sieht es heute, gut 200 Jahre später, damit aus? Sind wir Kants Aufforderung nachgekommen? Ist sie auch heute noch gültig – in einer Welt, in der religiöse Erklärungsmodelle und Verhaltenskodizes zunehmend an Bedeutung gewinnen; in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht; in der liberale Werte und Bürgerrechte, wie z. B. das Folterverbot, die Gewaltenteilung und das Recht auf Privatsphäre zunehmend außer Kraft gesetzt werden? Ist Kants Formel noch immer eine Leitlinie, an dem der Einzelne sein Verhalten ausrichten kann und soll?
Der junge dänische Autor Christian Lollike hat mit Nathan (ohne Titel) ein Stück geschrieben, das sich dieser Fragen annimmt. Indem er mit Lessings Nathan den Stellvertreter des aufgeklärten europäischen Intellektuellen ins Hier und Heute transportiert, hat er ein Spielfeld geschaffen, auf dem er die Tauglichkeit von Begriffen wie Toleranz und Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Vertrauen und Vergebung überprüfen und ihre Gültigkeit befragen kann.
Wie verhält sich N (= Nathan), wenn er in einem Zugabteil Zeuge eines Überfalls zweier Schläger auf einen Rollstuhlfahrer wird? Wie antwortet er auf die Frage, ob Geld oder Gott die Welt retten kann? Was passiert, wenn er mit dem Prinzip Liebe konfrontiert wird?
Nathan (ohne Titel) ist eine öffentliche Versuchsanordnung: Die Zuschauer werden zu Beobachtern, die Akteure zu Probanden. Fragen werden gestellt – die Antworten allerdings muss jeder selbst finden.
Regie: Alexander Marusch
Grundraum: Bernd Schneider/Ulrike Bresan
Bühne und Kostüme: Ulrike Bresan
Musik: Michael Barthel
Es spielen: Ellen Hellwig, Stephanie Schönfeld, Silvia Weiskopf, Sebastian Grünewald (Studio), Martin Reik und Michael Schrodt
Nächste Vorstellungen 28.9., 7. und 16.10.