Biografie Ferdinand Schmalz
Geboren 1985 in Graz. Aufgewachsen in Admont. Studiert in Wien, Philosophie und Theaterwissenschaft. Komparse am Wiener Burgtheater. Regieassistent am Schauspielhaus Wien und Schauspielhaus Düsseldorf. Performt im freien Kollektiv mulde_17. Mitbegründung des Festivals „Plötzlichkeiten“, Juni 2012 im Theater im Bahnhof Graz. Veröffentlichung der Erzählung „auf spur“ in der Anthologie zum Menathespreis für erotische Dichtung 2012. Nominiert für den MDR-Literaturpreis 2013.
Kurzbeschreibung des Stückes
„am beispiel der butter“ bildet einen Tag im Leben des Talmilch-Molkerei-Angestellten Adi ab, von allen nur Futterer Adi genannt, weil er im Zug die Leute mit Joghurt füttert. Adi nimmt sich selbst als träge Buttermasse war, will endlich handeln können. Er entwickelt in sich die Theorie, dass kleine Gesten, Brüche im Alltagsgefüge, eine neue Art von Gemeinschaftlichkeit erzeugen können. Wenn er durch die Züge geht und Fahrgästen einen „Schnapper“ von seinem Joghurt anbietet oder eine überlebensgroße Butterfaust, ein Butterdenkmal, bauen will, ist das so eine Art der Geste. Als Karina in Adis Leben tritt, scheint es, als könnte sich eine Liebe, eine Komplizenschaft ergeben. Doch seine Handlungen bleiben nicht unbemerkt, Hans von der Staatsgewalt, und Huber, mittleres Molkereimanagement, werden auf ihn aufmerksam. Schnell ist man sich einig, dass gegen solche Unregelmäßigkeiten vorgegangen werden muss. Die souveräne Macht duldet keine Ausnahme der Regel, die Ausnahme der Regel ist man ja selber schon. In der Jenny von der Reste finden die beiden eine Verbündete, um Karina und Adi zu betäuben. Aus einem trüben Buttertraum erwacht Adi in der leeren Bahnhofsreste, Karina ist verschwunden. Als er von Huber erfährt was mit ihr geschehen ist, kennt seine Wut keine Grenzen mehr. Gesichter brechen sowie die Buttermaschinen, eine Butterlawine löst sich aus deren Innerstem, versetzt die Stadt in konservierenden Dornröschenschlaf. Nur Adi erwacht.
Begründung der Jury:
Was David Foster Wallace der Hummer ist, ist Ferdinand Schmalz die Butter. Wobei die Abdrücke in der Butter bei ihm zugleich die Abdrücke sind, die eine Gesellschaft in den Menschen hinterlässt – und umgekehrt. Zwischen Molkerei, Kneipe und Hobbykeller treffen seine fünf Figuren aufeinander und kämpfen um ihre jeweilige Vorstellung von dem, was Recht ist (oder ihnen recht ist).
Adi und Karina lernen sich kennen und wollen gemeinsam dem horrorartig normierten Raum der Dorfgesellschaft etwas entgegensetzen, werden dabei aber durch die anderen beobachtet und bestraft. Sie sterben den Buttersäuretod, bleiben als Untote zurück oder erwarten noch Schlimmeres. Wer in diesem Universum spricht, handelt mit diesem Sprechen: Sei es Adi, der durch absichtliches Missverstehen seinen Widerstand gestaltet; seien es diejenigen, die sich im Recht fühlen und sich im Namen der Norm gegenseitig zur Gewalt anstacheln. Mit differenziertem Witz und mal feiner, mal brachialer Figurenzeichnung eröffnet Schmalz eine Reflexion des vielzitierten – und hier sehr plastisch ausgemalten – Ausnahmezustandes.
Der Text hat eine kluge und abwechslungsreiche Struktur, eine Dynamik, die mitreißt, spielt mit verschiedenen Formen von Monolog und Dialog, erzählt dabei eine klare Geschichte und spannt zugleich einen gedanklichen, ja, philosophischen Bogen. Mit Chuzpe führt der Autor von Walter Benjamin und Giorgio Agamben – die er eingangs wissentlich falsch zitiert – zu einem zweiten bösen Erwachen des Protagonisten im derzeit wahrscheinlich österreichischsten Setting: dem Keller. Dass dieses Stück ein Erstlingswerk ist, ist angesichts seiner Präzision umso erstaunlicher. Wir sind gespannt, welche Stoffe und Themen Ferdinand Schmalz und seine Sprache als nächste erkunden werden und gratulieren herzlich zum Retzhofer Dramapreis!
Jury:
Jörg Albrecht, Autor
Matthias Fontheim, Intendant Staatstheater Mainz
Esther Holland-Merten, Dramaturgin Schauspiel Chemnitz
Eva-Maria Voigtländer, Dramaturgin
Zum Retzhofer Dramapreis:
Der Preis versteht sich als Nachwuchspreis für szenisches Schreiben und ist in dieser Art im deutschen Sprachraum einzigartig. Aus über 100 Einsendungen wählte eine Vorjury 13 BewerberInnen aus. RegisseurInnen, SchauspielerInnen und DramaturgInnen unterstützten die Nominierten in der Weiterarbeit an ihrem Wettbewerbsbeitrag. Im Anschluss daran wurden die eingereichten Arbeiten anonymisiert einer hochkarätigen Jury vorgelegt, die das Siegerstück ermittelt.
Diese Verbindung zwischen Wettbewerb und Stückentwicklung erhöht die Chancen der Nominierten, in der Theaterwelt wahrgenommen zu werden. Davon zeugen die Biografien der bisherigen SiegerInnen, deren Stücke nach dem Gewinn des Retzhofer Dramapreises im gesamten deutschen Sprachraum gespielt und mit zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichnet wurden: Gerhild Steinbuch, Johannes Schrettle (2003), Ewald Palmetshofer (2005), Christian Winkler (2007), Henriette Dushe (2009) und Susanna Mewe (2011).
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