Wolfgang Rihm setzte sich mit dem uralten Proserpina-Mythos auseinander, der geraubten, gegen ihren Willen in die Unterwelt gezwungenen Frau. Das Monodram zeigt nur die Klage der Proserpina, sie ist gerade erst in der Unterwelt angekommen. Pluto, der Gott des Todes, war zu ihr, der liebreizenden, fröhlichen Tochter der Göttin der Fruchtbarkeit, in Liebe entbrannt. Er raubt sie und entführt sie in sein Schattenreich.
Goethe gestaltete die Klage der Entführten 1778 in einem Monodrama, das Rihm nun vertont hat. Sehr bewußt knüpft er dabei an die mitteleuropäische Operntradition an. Das knapp 70-minütige Stück ist eine Herausforderung für einen Koloratursopran.
Goethes Proserpina fühlt in ihrem neuen Reich nur Verzweiflung, von ihren göttlichen Eltern verlassen, sieht sie sich zwar durch des Totengottes Liebe als Königin der Unterwelt eingesetzt, aber der Titel bedeutet ihr nur Hohn: sie fühlt Mitleid mit den Verdammten, Tantalus‘ und Ixions‘ Qualen muss sie mitansehen, aber sie hat keine Macht, sie zu lindern, obwohl sie doch Königin genannt wird. Die Liebe von Hades erfährt sie als Gewaltakt. Verzweifelt sehnt sie sich nach ihren Gespielinnen und den besonnten Tälern der Oberwelt zurück. Sie findet einen Granatapfel, der sie als lebendige Frucht ans irdische Glück erinnert, aber der Biss in den Apfel besiegelt endgültig ihr Verhängnis: sie verfällt nun unumkehrbar dem Tod. Die Ähnlichkeit zu Evas Biss in den
Apfel vom Baum der Erkenntnis ist hierzu eine verblüffende Parallele. „O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, wenn sie verdammen?“ fragt Proserpina, die einzige Antwort, die sie auf all ihr Klagen und Rufen erhält, ist die der Parzen: „Du bist unser.“
Hans Neuenfels fasst diese Entmachtung der Frau in einprägsame, provokative Bilder: Als angebliche Königin beherrscht sie die Phantasie der Männer, ihren Sex, aber genau deshalb wird sie zur Sex-Sklavin degradiert.
Neuenfels filtert klug ein kulturhistorisches Surrogat aus dem Werk: Proserpina als Stellvertreterin aller in der westlichen Kultur seit den antiken Zeiten unterjochten Frauen. Nur ist diese Proserpina keine leidend Hinnehmende, sie lehnt sich auf. Neuenfels entdeckt darin den utopischen Impuls: „Wenn einem nichts anderes mehr übrig bleibt als die Auflehnung, dann gibt es zumindest die Freiheit des Protests im anarchischen und vitalen Aufbegehren. Dadurch erst erfährt der Mensch wiederum Zonen, ja Schalen von sich selbst, die er wegwirft und in dieser Handlung zu sich selbst gelangen kann; indem er gleichsam seine eigene Freiheit gegen die hinzugefügte, zufällig Unterjochung setzt.“
Musikalische Leitung: Florian Frannek
Inszenierung: Hans Neuenfels
Regiemitarbeit und szenische Einstudierung: Beate Baron
Bühnenbild: Gisbert Jäkel
Kostüme: Elina Schnizler
Choreinstudierung: Jens Bingert
Mit: Elena Fink, Andreas und Sascha Jähnert, Christian Natter
Damen des Opernchores der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal
Die nächsten Vorstellungen sind am 30. April 2010 sowie am 2. Mai 2010 im Opernhaus.