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Passioniertes ErbarmenPassioniertes ErbarmenPassioniertes Erbarmen

Passioniertes Erbarmen

"pitié!" von Alain Platel/Fabrizio Cassol im Düsseldorfer Schauspielhaus

Copyright: Ursula Kaufmann

 

Bachs Matthäuspassion und insbesondere die Arie "Erbarme dich, mein Gott" ist Ausgangspunkt von "pitié!", das im Rahmen des "Internationalen Tanzfestivals NRW 2008, 3 Wochen mit Pina Bausch" von les ballets C de la B aus Gent am 14.11.08 im Düsseldorfer Schauspielhaus aufgeführt wurde. Zwei Sängerinnen, ein Countertenor, die Musiker des Ensembles Aka Moon und zehn Tänzer/Tänzerinnen zeigen eine beeindruckende Leistung. Dabei wird mit "pitié" weniger die Passions¬geschichte nacherzählt, sondern in freien Assoziationen die christliche Botschaft, das Wirken Jesu ausgelotet. Parallel dazu wird der Schmerz der Mutter Maria angesichts des Opfertodes ihres Kindes gezeigt.

 

Das Stück beginnt mit einer Stimme aus dem Off, die keuchend, verzerrt und verzögert "I love you all" kundtut, einer Stimme, die aber auch von den drei, an einem Tisch sitzenden Sängern stammen könnte, einer Stimme, die die christliche Urbotschaft kundtut. Diese Stimme wird aber auch im Laufe des Abends noch etwas anderes kundtun, nämlich: "My family … the rest of the world can kiss my ass". Und statt einem Kreuz schleppt man eine Axt, die als "es vollbracht ist", in den Tisch kracht.

 

Wie bei einem sog. lebenden Bild formieren sich die Tänzer anfangs zu einer Kreuzigungsszene, wie man sie aus unzähligen Gemälden kennt, diese wechselt unversehens zu einem pyramidalen Aufbau, der an Delacroix' "Die Freiheit führt das Volk an" erinnert, bloß ist hier die Freiheitsfahne ein blauer Müllsack. Immer wieder geschehen rasche Rollenwechsel, mal sind die Tänzer in ihrer bunten Straßenkleidung das Volk der Armen, Mühseligen. Beladenen, Kranken, Behinderten und Versehrten, mal Jünger Jesu.

 

Immer wieder gibt es unvermutet minimale Anspielungen sowohl tänzerischer als auch musikalischer Art, die für einen kurzen Moment aufblitzen. Ganz kurz gibt es anfangs tänzerische Hiphop-Elemente, aber durch Anklänge an die orientalische Kultur, etwa eine Bauchtanzszene, das Drehen der Derwische oder auch das Trompetensolo von einer Empore herab, das irgendwie an den Gebetsruf des Muezzin erinnert, wird die Passionsgeschichte wieder im Orient verortet

 

Intensive Gefühle von Schmerz und Leiden werden mimisch und gestisch expressiv dargestellt. Körper werden bizarr verrenkt und verzerrt, Haut wird gerollt und gezerrt, man zieht sich an und wieder aus. Manchmal bewegen sich die Tänzer wie Behinderte und blicken wie irr, emphatisch überhöht, ein Zittern und Zagen. Für einen kurzen Augenblick erscheinen extreme Gefühlsbewegungen wie eingefroren, wirken wie das Standstill eines Bill Viola Videos. Die Verletzbarkeit des Körpers und der Seele, der Schmerz und das Leiden, aber auch das Mitleiden werden thematisiert. Ganz zum Schluss sitzt Maria an einem Tisch und wirkt mit Ihrem schwarzen Schleier wie eine sizilianische Mater dolorosa.

 

"Pitié!" zeigt nicht die Leidensgeschichte Jesu oder das Leiden Marias entlang der biblischen Geschichte, sondern führt die christlichen Lehre wieder auf ihren Kern, das Mitleiden und Erbarmen, zurück. Fast zwei Stunden intensiver Eindrücke lassen das Stück noch lange nachklingen.

 

Tanz/ Kreation: Elie Tass, Emile Josse, Hyo Seung Ye, Juliana Neves, Lisi Estarás. Louis-Clément Da Costa, Mathieu Desseigne Ravel, Romeu Runa, Rosalba Torres Guerrero, Quan Bui Ngoc

Gesang: Laura Claycomb (Sopran), Monica Brett-Crowther (Mezzo), Serge Kakudji (Countertenor), Magic Malik (Gesang/Flöte)

Musik: Aka Moon

Regie/Konzept: Alain Platel

Musik: Fabrizio Cassol (nach der Matthäus-Passion von J.S. Bach)

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