Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Mutmassungen über WillieMutmassungen über WillieMutmassungen über Willie

Mutmassungen über Willie

"Glückliche Tage" von Samuel Beckett im Düsseldorfer Schauspielhaus

 

Eine Landschaft aus Stahlskeletthügeln, wie nach einer Katastrophe, eine ort- und zeitlose Welt. Mittendrin ein blauer Hügel, in dem Winnie bis zur Taille feststeckt. Der blaue Hügel als Welt, als Sinnbild für die Sehnsucht, die sie immer noch trägt? Winnie plappert unentwegt vor sich hin, pflegt sich, versucht die Contenance zu wahren, im Gegensatz zu ihrem Ehemann Willie, der sich scheinbar gehen lässt, wie man ihrem Gerede entnehmen kann, denn allzu oft ist er nicht zu sehen. Immer wieder versucht sie eine Reaktion von Willie zu erhalten wider aller Hoffnung. Wie in einer alten frustrierenden Ehe, in der schon längst alles gesagt, alles abgehandelt wurde, keine Änderungen, keine Neuigkeiten zu erwarten sind, nimmt sie in ihrer monologischen Rede, die zu erwartenden Reaktionen vorweg, unterstellt sie, wie Willie vermutlich reagieren würde. Wenn Willie sich tatsächlich einmal äußert, sei es durch ein Wort, sei es durch einen Laut oder eine Geste, stilisiert Winnie dieses gleich zu einem glücklichen Tag. Sie gibt sich mit kleinen Freuden zufrieden, die sie aus der Banalität des Alltags zieht. Winnie plappert an gegen ihr Unbehagen, verdrängt es, versucht ihre Würde zu bewahren und kommt aus dem Wiederholungen nicht heraus, bis sie immer tiefer versinkt und völlig unbeweglich ist.

 

In seiner Inszenierung von Becketts "Glückliche Tage" im Schauspielhaus Düsseldorf hat Stéphane Braunschweig Winnie verdoppelt: einmal ist sie real zu sehen, zum anderen als riesige Webcamprojektion. Dadurch wird der Zuschauer verleitet, dem digitalen Bild zu folgen, sich vom wirklich Stattfindenden ablenken zu lassen, aber eigentlich ist es ein überflüssiger Trick in einer ansonsten hervorragenden, dem Werk gerecht werdenden Inszenierung. Claudia Hübbecker als Winnie trägt die Figur durch alle Facetten zwischen Lakonie und Traurigkeit, kämpft gegen die Desillusion, mit der altersbedingt zunehmenden Sehschwäche und der Angst vor dem allmählichen körperlichen Verfall. Brillant, wie sie die Aufmerksamkeit des Zuschauers über das Stück zu halten vermag. Rainer Galke als der resignierte Willie, der sich immer wieder hinter seiner Zeitung verschanzt, ist wie ein gestrandeter Wal, der in einem letzten Atemzug sich noch einmal zum Leben aufschwingen will.

Ein ganz großes Stück Theater, das vom Publikum sehr gewürdigt wurde! Offenbar lassen sich viele von den Geschehnissen hinter den Kulissen des Schauspielhauses ungerechtfertigter Weise von einem Theaterbesuch abschrecken. Dieser beindruckenden Leistung würde man jedenfalls mehr Besucherresonanz wünschen.

 

Glückliche Tage von Samuel Beckett

Aus dem Englischen von Erika und Elmar Tophoven / In Kollaboration mit La Colline – the?a?tre national, Paris / Premiere in Paris: 10. Juni 2014

 

Besetzung:

Claudia Hübbecker / Winnie

Rainer Galke / Willie

Regie: Stéphane Braunschweig

Bühne: Stéphane Braunschweig

Alexandre De Dardel / Mitarbeit Bühne

Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck

Licht: Marion Hewlett

Dramaturgie: Astrid Schenka

 

Premiere

12. April 2014

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 14 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

FURCHT VOR DER FREIHEIT -- Neue Reihe "Studio goes Politics" im Studiotheater STUTTGART

Die Kabarettistin Stephanie Biesolt eröffnete zusammen mit der Schauspielerin Marion Jeiter diese neue Kabarett-Reihe im Studiotheater. Dabei wurde die AfD aufs Korn genommen. Beim "Angriff auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

GESPENSTER UND ATEMLOSE SPANNUNG -- "Falsche Schlange" von Alan Ayckbourn im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Eine Prodfuktion von Tournee-Theater Thespiskarren - Theater im Rathaus Essen. - In der subtilen Regie von Gerit Kling bekommt dieser Psycho-Thriller rasch scharfe Kontur. Annabel Chester kehrt nach…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUCH DIE BILDENDE KUNST IST PRÄSENT -- Ludwigsburger Schlossfestspiele 2025

Die Festspielzeit 2025 wird am Samstag, 31. Mai 2025 mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Joana Mallwitz im Forum am Schlosspark eröffnet. Neben Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie"…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINE SCHWINGUNGEN -- "Wege in die Gegenwart" - Gitarrenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts im Kammermusiksaal der Musikhochschule STUTTGART

Gitarren-Musikstudenten der Klasse von Tillmann Reinbeck stellten sich im Kammermusiksaal der Musikhochschule vor. Der Abend begann mit "Quatre pieces breves" aus dem Jahre 1933 von Frank Martin. Das…

Von: ALEXANDER WALTHER

PEITSCHENDE RHYTHMEN -- Symphonieorchester unter Juraj Valcuha im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Ein sehr russisches Programm präsentierte das glänzend disponierte SWR Symphonieorchester unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha diesmal in der Liederhalle. Zunächst erklang die…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑