Ob der stolze, entschlossene „David“, der ehrfurchtgebietende „Moses“, die berührende weil so menschliche „Pietà“, das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle in Rom oder so manches Sonett – immer ist es auch die Schönheit des menschlichen Körpers, die den Blick des Betrachters bannt. In Michelangelos Werken wird eine Kraft und Ruhe spürbar, deren Existenz oft verblüfft, stellen die so vielfältigen Werke doch essentielle Menschheitsthemen dar. Doch trotz dieser Ruhe, die selbst Todgeweihte, Gefangene oder Höllenopfer ausstrahlen – immer ist eine Persönlichkeit dahinter spürbar, die des Dargestellten und die des Renaissance-Künstlers selbst.
Doch wie ist ein solches Oeuvre – gigantisch sowohl im Umfang als auch in der kunsthistorischen Bedeutung – überhaupt möglich? Woher nimmt ein Künstler, zwar bereits in jungen Jahren als Genie verehrt, doch lebenslang im Kampf mit Auftraggebern und Mäzenen (darunter allein 9 Päpste!) und nicht selten lebensbedrohlichen Anfeindungen ausgesetzt – die Kraft für dieses Werk?
Diesen Fragen geht Ballettdirektor Jochen Ulrich in seinem neuesten Ballett nach. Ein Künstler wie Michelangelo, der so konsequent den Körper in den Mittelpunkt seines Interesses rückt und dabei so weit geht, ihn als unmittelbaren Ausdruck der menschlichen Seele zu konzipieren – ein solcher Künstler verführt zum Tanz, zur Choreographie. Und er wirft Fragen auf. Fragen, an denen sich das Ballett versucht, die sich ins Werk hinein, in die Studien dazu begeben und auch Fragen, die sich an biographische Aspekte richten – ohne jedoch anekdotisch eine Lebensgeschichte auf die Bühne zu bringen. Ein Gedanke drängt sich dabei auf: Wichtigster Antrieb für Michelangelos Schaffen scheint die Liebe zu sein. Thomas Mann nennt sie seine „nicht enden wollende, das ganze Leben durchziehende Verliebtheit in das Bild, das Lebendig-Schöne, den Menschenreiz“.
Nach Jochen Ulrichs Balletten über Goya (Köln, 1995) und Caravaggio (Innsbruck, 2004) stellt Michelangelo den dritten Teil seines Zyklus´ über bildende Künstler dar. Mehr noch als bisher entstand dabei im Vorfeld die Überlegung, wie man die Person Michelangelo, diesen Kunst-Titan, in seiner Komplexität auf die Bühne bringen könne. Jochen Ulrich ist dabei zu dem Schluss gekommen, dass es mehrere Michelangelos geben wird, die unterschiedliche Aspekte dieser Persönlichkeit darstellen.
Angesiedelt ist Ulrichs Produktion in einem abstrakten „Steinbruch“-Raum (Bühne: Stefan Weinert), der den Marmor – das wichtigste Arbeitsmaterial Michelangelos – zum Dreh- und Angelpunkt des Geschehens macht. Sichtbar werdende Formen,
Konstellationen, Bewegungen – immer setzen sie sich mit diesem Symbol ins Verhältnis. Für die Kostüme der Produktion arbeitet Jochen Ulrich bereits zum wiederholten Male mit Bjanka Ursulov zusammen, das Ergebnis der letzten höchst erfolgreichen Zusammenarbeit war vor zwei Jahren mit „Kafka Amerika“ im Landestheater zu sehen.
Ruhe und Kraft – diese beiden Aspekte sind es auch, die bei der Auswahl der Musik eine entscheidende Rolle gespielt haben. Mehrere Werke des estnischen Komponisten Arvo Pärt – darunter das Klavierkonzert „Lamentate“ aus dem Jahr 2002 – und Benjamin Brittens „Sinfonia da Requiem“ bilden den musikalischen Grund, auf dem sich der Ballettabend entwickelt. In ihrer Zeitlosigkeit und religiösen Tiefe ergeben die einzelnen Werke eine naheliegende Spiegelung der Themen, die Michelangelo vorgibt.
Unter der Musikalischen Leitung seines Chefdirigenten Dennis Russell Davies spielt das Bruckner Orchester Linz.
Musik von Arvo Pärt und Benjamin Britten
Arvo Pärt (*1935):
Collage über B-A-C-H (1964)
Cantus in memory of Benjamin Britten (1977/80)
Spiegel im Spiegel (1978)
Lamentate (Hommage an Anish Kapoor und seine Skulptur Marsyas; für Klavier und Orchester) (2002)
Benjamin Britten (1913-1976):
Sinfonia da Requiem (1940)
Musikalische Leitung Dennis Russell Davies / Ingo Ingensand
Choreographie und Inszenierung Jochen Ulrich
Bühne Stefan Weinert
Kostüme Bjanka Ursulov
Dramaturgie Julia Zirkler
Michelangelo Martin Dvorák, Wallace Jones, Fabrice Jucquois
Die Herrscher Ziga Jereb
Die Dichterin Irene Bauer
Der Geliebte Sakher Almonem
Michelangelos Geschöpfe Irene Bauer, Darie Cardyn, Sarah Deltenre,
Ayumi Noblet, Clara Pascual Martí, Lucia Patoprstá, Anna Sterbová;
Sakher Almonem, Daniel Morales Pérez,
Alister Noblet, Alexander Novikov, Matej Pajgert, Pascal Sani
Solo-Klavier Maki Namekawa / Borys Sitarski
Weitere Termine 11., 16., 19. und 27. Oktober 2011; 4. und 26. November 2011