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MARIA STUART von Friedrich Schiller im Residenztheater München

Premiere 17. Mai 2024, 19.30 Uhr, Residenztheater

Maria Stuart, die entthronte schottische Königin, sucht in England Asyl, findet sich aber alsbald in Festungshaft, da ihre Tante, die englische Königin Elisabeth Tudor, Ermittlungen gegen sie aufnimmt: Maria war angeblich im Alter von siebzehn Jahren in die Ermordung ihres Ehemanns verstrickt – so die offizielle Anklage, gerüchtehalber aber auch in ein ganz aktuelles Umsturzkomplott.

 

Copyright: Birgit Hupfeld


Schiller zeichnet keine seiner Protagonistinnen in besonders schmeichelhaftem Licht: Maria als impulsive Verführerin, Elisabeth als eifersüchtige und entscheidungsscheue Regentin. An Goethe schreibt er 1799 über seinen «poetischen Kampf mit dem historischen Stoff», bevor es ihm gelingt, «der Phantasie eine Freiheit über die Geschichte zu verschaffen». Und diese Freiheit besteht auch darin, aus der beliebten «Virgin Queen» – die in ihrer Regentschaft jahrelange Querelen mit Frankreich befriedete, den Staatshaushalt konsolidierte, den Grundstein von Seemacht und Commonwealth legte, eine Blütezeit für Künste und Wissenschaft schuf – eine Zauderin zu machen, die lieber sterben möchte, als über den Konflikt mit Maria zu entscheiden. Hier schreibt sich auch Schillers eigene Gegenwart in das Stück ein, in der wenige Jahre zuvor Marie Antoinette als eine der Frontfrauen des Absolutismus auf dem Schafott ihr Ende fand: «Dies Land, Mylady, hat in letzten Zeiten / Der königlichen Frauen mehr vom Thron / Herab aufs Blutgerüste steigen sehn». Denn im Hintergrund dieses Politthrillers um Ämternachfolge und Staatskonfession lauert immer der Volksaufstand, der schließlich beide Königinnen den Kragen kosten könnte.

Schiller lässt nicht nur den Hofstaat, sondern auch seine Majestäten selbst zweifeln, ob es ein einzelner Mensch vermag, im Sinne eines Volks zu entscheiden, und exerziert diese «Furcht, die schreckliche Begleitung der Tyrannei» in allen Schattierungen durch. Er schreibt so nicht nur ein Stück über das Zögern einer Staatenlenkerin, sondern auch über die Notwendigkeit der Demokratie. Dass diese Debatte wie in der antiken «Orestie» ihren Anfang mit einem Gattenmord und ihr Ende im Irren der Entscheidung der Einzelnen findet, ist vielleicht kein Zufall.

    «Ein Stück über das NICHT-Handeln. Über die radikale Einsamkeit und unentrinnbare (Ohn-)Macht, in die eine menschliche Machthaberin hineingerät. Mich interessiert die Faszination dieser Frau an der anderen, das Erkennen ihrer selbst in der anderen. Und ihr schlussendliches TROTZDEM-Handeln, getrieben von einem in sich falschen System, in dem es nur die eine Entscheidung geben kann.» Nora Schlocker

Was aber, wenn staatstragende Entscheidungen gar keinen individuellen Spielraum haben, nur der Zufall über Macht und Ohnmacht entscheidet? Dann könnten die Rollen auch «getauscht» werden. So wird bei jeder Vorstellung gewürfelt, welche der beiden Schauspielerinnen die Siegerin oder die Besiegte verkörpert.

 Inszenierung Nora Schlocker
Bühne Irina Schicketanz
Kostüme Jana Findeklee,  Joki Tewes
Komposition und Sounddesign Philipp Weber
Licht Gerrit Jurda
Choreografie und Körperarbeit Sabina Perry
Dramaturgie Constanze Kargl

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