Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Landestheater Linz: "Die sieben Todsünden" (Kurt Weill/Bertolt Brecht)Landestheater Linz: "Die sieben Todsünden" (Kurt Weill/Bertolt Brecht)Landestheater Linz: "Die...

Landestheater Linz: "Die sieben Todsünden" (Kurt Weill/Bertolt Brecht)

Premiere am Samstag, 13. Oktober 2012, 19:30 Uhr im Großen Haus. -----

Zwei Ballette, zwei Träume. Kurt Weills beiden einzigen Kompositionen für das Genre Tanz liegen der ersten Ballettpremiere des Landestheaters Linz in dieser Spielzeit zugrunde. Sie könnten – inhaltlich und ihrer Entstehungsgeschichte nach – unterschiedlicher kaum sein.

Mit Anfang 20 schuf Kurt Weill, noch während seines Kompositionsstudiums in Berlin, 1922 die „Pantomime“ Zaubernacht. Als er 11 Jahre später, kurz nach seiner Emigration nach Paris im Jahr 1933 Die sieben Todsünden komponierte und in der Choreografie von George Balanchine uraufführte,

markierte dieses „Ballett mit Gesang“ bereits das letzte Werk, das aus der kongenialen Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstand.

 

Für die Besetzung der Sängerin ist dem hochkarätigen Leading-Team aus Bruckner Orchester-Chefdirigent Dennis Russell Davies und Ballettdirektor Jochen Ulrich ein Coup der besonderen Art gelungen: Marianne Faithfull, ihres Zeichens Pop-Ikone, Filmstar, Rockstar-Muse und nicht zuletzt renommierte Weill-Interpretin, wird als „Anna I“ am Landestheater Linz zu erleben sein.

 

Wie Spiegelbilder

Beide Werke verhalten sich zueinander wie Spiegelbilder, die einen verzerrten Kommentar zum Gegenüber abgeben. Zaubernacht entspinnt in spielerisch-leichtem Ton den Traum vom Lebendig-Werden der Spiele ringsum, vom Erscheinen phantastischer Gestalten in einer Welt zwischen Schlafen und Wachen, von einer wilden und aufregenden Nacht der Schwerelosigkeit. Es könnte ein Kindertraum sein, in dem das aufgewühlte Hin- und Herpurzeln der Emotionen mitunter auch Bedrohliches enthält,

nicht jedoch seine heitere, naive Farbgebung verliert. Was in aller Härte und Unerbittlichkeit aus diesem Traum werden mag, zeigt der zweite Teil des Abends: Vor dem Hintergrund der Zaubernacht nimmt sich das „Ballett mit Gesang“ Die sieben Todsünden wie ein düsterer Gegenentwurf dazu aus. Hier ist der Traum der Hauptfigur Anna nur der ihrer ehrgeizigen Hälfte auf dem Weg zum sozialen Erfolg. Ihr Alter Ego

 

Anna II – passiver und empfindsamer – wird von ihr zur Erfüllung (selbst-)zerstörerischer Wünsche auf den Weg durch die Abgründe des Großstadtlebens geschickt. Um jeden Preis Geld zu verdienen für das kleine Haus in Louisiana, heißt der Wunsch der einen Anna, nicht der der anderen. Ihre Zwiegespaltenheit (Anna I wird von einer Sängerin, Anna II von einer Tänzerin dargestellt) ist für Brecht und Weill Sinnbild einer sich selbst entfremdeten Gesellschaft. Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid. In Brechts und Weills Darstellung sind es Tugenden! Nur der Kleinbürger, den die Gesellschaft in seiner natürlichen Empfindung verstört hat, wird der Protagonistin Anna ihre anfängliche Zögerlichkeit als Faulheit auslegen, ihre Weigerung, sich selbst zu verkaufen als Stolz, oder etwa ihr natürliches Verlangen nach Nahrung als Völlerei abtun …

 

ZUR CHOREOGRAPHIE

Landestheater Linz Ballettdirektor und Choreograf Jochen Ulrich und Fabrice Jucquois zeigen in diesem Ballettabend gemeinsam mit dem Ausstatter Gottfried Pilz den Weg des Lebens als kleinen, taumelnden Schritt von traumhafter Freiheit einer Zaubernacht in schonungslose Abhängigkeit auf der „Straße des Erfolgs“, auf der alle Sehnsüchte in Scherben enden, Liebe zerstört wird und der Körper als seelenloses Objekt zu Markte getragen wird. Auch der Tanz vollzieht diesen Spagat und fällt aus luftig-unbeschwerten Höhen auf harten Asphalt.

 

DIE SIEBEN TODSÜNDEN

Ballettabend von Jochen Ulrich und Fabrice Jucquois

Musik von Kurt Weill

 

Zaubernacht

Kinderpantomime

Text von Wladimir Boritsch

 

Die sieben Todsünden

Ballett mit Gesang

Text von Bertolt Brecht

(Übertragung ins Englische durch W.H. Auden und Chester Kallman)

Mit deutschen Übertiteln

 

Musikalische Leitung Dennis Russell Davies / Borys Sitarksi

Choreografie und Inszenierung Jochen Ulrich, Fabrice Jucquois

Bühnenbild und Kostüme Gottfried Pilz

Dramaturgie Julia Zirkler

 

Zaubernacht

Zwei Jungs Matej Pajgert, Jonatan Salgado Romero

Ein Mädchen Ilja van den Bosch

Ein Schornsteinfeger Sakher Almonem

Die Lehrerin Clara Pascual Martí

Der Dompteur Alexander Novikov

Ein Löwe Morgan Reid

Ein Träumer Wallace Jones

Eine Hexe Martin Dvořák

Eine Fee Ziga Jereb

Sängerin Ilia Vierlinger / Jenifer Lary

 

Die sieben Todsünden

Anna I Marianne Faithfull / Christiane Boesiger

Die Familie Ulf Bunde, Bonifacio Galván, Seogmann

Keum, Marius Mocan

Anna II Anna Štěrbová

Zwei Transvestiten Ziga Jereb, Wallace Jones

Die Huren Ilja van den Bosch, Clara Pascual Martí, Tine Schmidt

Die Zuhälter Sakher Almonem, Alister Noblet, Alexander

Novikov, Gabriel Wanka

Anonymous Jonatan Salgado Romero

Ein Herr Martin Dvořák

Seine Dame Morgan Reid

Sein Bodyguard Matej Pajgert

 

Bruckner Orchester Linz

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 22 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EINSATZ VON FANTASIE -- Estelle Revaz spielt 11 Capriccios für Violoncello Solo von Joseph Dall'Abaco beim Label Solo Musica im Vertrieb von Naxos

Auf ihrem sechsten Album beschäftigt sich die Schweizer Cellistin Estelle Revaz mit den 11 Capriccios von Joseph Dall'Abaco (1710 bis 1805). Dieser wurde in Brüssel geboren und er wird hierzulande…

Von: ALEXANDER WALTHER

DIE POLITIK HAT SICH GEIRRT -- "Nostalgia Up & Down" und "Weisse Elefanten"im Kammertheater STUTTGART

"Läuterung kostet aber, und Aristoteles wusste es". Das Citizen.KANE.Kolletktiv Stuttgart und das Centrul Replika (Bukarest) untersuchten theatralisch Zensur und Repression in Deutschland und…

Von: ALEXANDER WALTHER

RÄTSELHAFTE SCHATTENSPIELE -- Mozarts "Idomeneo" in der Staatsoper Stuttgart

Für den Regisseur Bastian Kraft ist Mozarts Oper "Idomeneo" zum einen ein geradezu archaischer Mythos, zum anderen eine intime Familiengeschichte. Es geht hier um einen König, der sich gegen Götter…

Von: ALEXANDER WALTHER

SEELISCHES ERLEBEN DER MUSIK -- Klaviertrios im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Was haben Schubert, Brahms und Tschaikowsky gemeinsam? Wohl den Blick für das seelische Erlebnis der musikalischen Sprache. Drei Professoren der Hochschule für Musik und Theater München bestritten…

Von: ALEXANDER WALTHER

GEWALTIGE ANFORDERUNGEN AN DIE SOLISTIN -- Stuttgarter Philharmoniker mit Anna Tifu (Geige) im Forum am Schlosspark LUDWIGSBURG

Die Akademische Festouvertüre op. 80 ist der musikalische Dank von Johannes Brahms für die Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Breslau. Er verwendete hier für die Themen auch…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑