Mit Anfang 20 schuf Kurt Weill, noch während seines Kompositionsstudiums in Berlin, 1922 die „Pantomime“ Zaubernacht. Als er 11 Jahre später, kurz nach seiner Emigration nach Paris im Jahr 1933 Die sieben Todsünden komponierte und in der Choreografie von George Balanchine uraufführte,
markierte dieses „Ballett mit Gesang“ bereits das letzte Werk, das aus der kongenialen Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstand.
Für die Besetzung der Sängerin ist dem hochkarätigen Leading-Team aus Bruckner Orchester-Chefdirigent Dennis Russell Davies und Ballettdirektor Jochen Ulrich ein Coup der besonderen Art gelungen: Marianne Faithfull, ihres Zeichens Pop-Ikone, Filmstar, Rockstar-Muse und nicht zuletzt renommierte Weill-Interpretin, wird als „Anna I“ am Landestheater Linz zu erleben sein.
Wie Spiegelbilder
Beide Werke verhalten sich zueinander wie Spiegelbilder, die einen verzerrten Kommentar zum Gegenüber abgeben. Zaubernacht entspinnt in spielerisch-leichtem Ton den Traum vom Lebendig-Werden der Spiele ringsum, vom Erscheinen phantastischer Gestalten in einer Welt zwischen Schlafen und Wachen, von einer wilden und aufregenden Nacht der Schwerelosigkeit. Es könnte ein Kindertraum sein, in dem das aufgewühlte Hin- und Herpurzeln der Emotionen mitunter auch Bedrohliches enthält,
nicht jedoch seine heitere, naive Farbgebung verliert. Was in aller Härte und Unerbittlichkeit aus diesem Traum werden mag, zeigt der zweite Teil des Abends: Vor dem Hintergrund der Zaubernacht nimmt sich das „Ballett mit Gesang“ Die sieben Todsünden wie ein düsterer Gegenentwurf dazu aus. Hier ist der Traum der Hauptfigur Anna nur der ihrer ehrgeizigen Hälfte auf dem Weg zum sozialen Erfolg. Ihr Alter Ego
Anna II – passiver und empfindsamer – wird von ihr zur Erfüllung (selbst-)zerstörerischer Wünsche auf den Weg durch die Abgründe des Großstadtlebens geschickt. Um jeden Preis Geld zu verdienen für das kleine Haus in Louisiana, heißt der Wunsch der einen Anna, nicht der der anderen. Ihre Zwiegespaltenheit (Anna I wird von einer Sängerin, Anna II von einer Tänzerin dargestellt) ist für Brecht und Weill Sinnbild einer sich selbst entfremdeten Gesellschaft. Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid. In Brechts und Weills Darstellung sind es Tugenden! Nur der Kleinbürger, den die Gesellschaft in seiner natürlichen Empfindung verstört hat, wird der Protagonistin Anna ihre anfängliche Zögerlichkeit als Faulheit auslegen, ihre Weigerung, sich selbst zu verkaufen als Stolz, oder etwa ihr natürliches Verlangen nach Nahrung als Völlerei abtun …
ZUR CHOREOGRAPHIE
Landestheater Linz Ballettdirektor und Choreograf Jochen Ulrich und Fabrice Jucquois zeigen in diesem Ballettabend gemeinsam mit dem Ausstatter Gottfried Pilz den Weg des Lebens als kleinen, taumelnden Schritt von traumhafter Freiheit einer Zaubernacht in schonungslose Abhängigkeit auf der „Straße des Erfolgs“, auf der alle Sehnsüchte in Scherben enden, Liebe zerstört wird und der Körper als seelenloses Objekt zu Markte getragen wird. Auch der Tanz vollzieht diesen Spagat und fällt aus luftig-unbeschwerten Höhen auf harten Asphalt.
DIE SIEBEN TODSÜNDEN
Ballettabend von Jochen Ulrich und Fabrice Jucquois
Musik von Kurt Weill
Zaubernacht
Kinderpantomime
Text von Wladimir Boritsch
Die sieben Todsünden
Ballett mit Gesang
Text von Bertolt Brecht
(Übertragung ins Englische durch W.H. Auden und Chester Kallman)
Mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung Dennis Russell Davies / Borys Sitarksi
Choreografie und Inszenierung Jochen Ulrich, Fabrice Jucquois
Bühnenbild und Kostüme Gottfried Pilz
Dramaturgie Julia Zirkler
Zaubernacht
Zwei Jungs Matej Pajgert, Jonatan Salgado Romero
Ein Mädchen Ilja van den Bosch
Ein Schornsteinfeger Sakher Almonem
Die Lehrerin Clara Pascual Martí
Der Dompteur Alexander Novikov
Ein Löwe Morgan Reid
Ein Träumer Wallace Jones
Eine Hexe Martin Dvořák
Eine Fee Ziga Jereb
Sängerin Ilia Vierlinger / Jenifer Lary
Die sieben Todsünden
Anna I Marianne Faithfull / Christiane Boesiger
Die Familie Ulf Bunde, Bonifacio Galván, Seogmann
Keum, Marius Mocan
Anna II Anna Štěrbová
Zwei Transvestiten Ziga Jereb, Wallace Jones
Die Huren Ilja van den Bosch, Clara Pascual Martí, Tine Schmidt
Die Zuhälter Sakher Almonem, Alister Noblet, Alexander
Novikov, Gabriel Wanka
Anonymous Jonatan Salgado Romero
Ein Herr Martin Dvořák
Seine Dame Morgan Reid
Sein Bodyguard Matej Pajgert
Bruckner Orchester Linz