In ihrer Einsamkeit sehnt sie sich nach Liebe, auch körperlicher. Als ein Arbeiter aus der Firma ihres Mannes, der rücksichtslose Sergej, in das Schlafzimmer der Verzweifelten eindringt, muss er wenig Widerstand überwinden. Sie bricht aus dem Gefängnis ihrer Welt aus und beginnt, sich zu nehmen, was ihr vorenthalten wurde – die Liebe, die Freiheit, die Traumhochzeit. Den zu erwartenden Widerstand der Gesellschaft räumt sie gemeinsam mit diesem Mann aus dem Weg: den schwachen Gatten und den Schwiegervater. Doch in das Mahlwerk der Gewalt, das sie in Gang gebracht hat, gerät sie schließlich selbst. Der Traum vom Glück zerrinnt im Schlamm eines sibirischen Arbeitslagers.
Zum Werk
Wer die Lady noch nicht kennt und die Handlung mit ihrer Anhäufung von sex and crime liest, wird zunächst kaum glauben können, dass Dimitri Schostakowitschs Oper kein effekthascherisches Werk eines erfolgshungrigen, sensationslüsternen Autors sein soll. Aber wer die Oper sieht, merkt es: Die Gewalt ist bei Schostakowitsch nicht Selbstzweck, denn er erzählt eine Geschichte über die Folgen von Gewalt. Die Hauptfigur der Oper, Katerina Ismailowa, ist zunächst der Gewalt ausgeliefert – der Missachtung durch ihren Ehemann und v. a. der Bedrohung und Erniedrigung durch ihren Schwiegervater. Dann entscheidet sie sich dazu – angetrieben von einem selbst rücksichtslosen, gewalttätigen Mann, der ihr Liebhaber wird –, den Spieß umzudrehen und selbst Gewalt auszuüben. Was ihr zunächst wie ein Befreiungsschlag gegen die patriarchalische Ordnung vorkommt, entpuppt sich schließlich als ein Weg, von dem es kein Zurück gibt. Ein Weg zudem, dessen schreckliches Ende absehbar ist.
Diese Geschichte über Gewalt ist zugleich ein Spiegel der Zeit, in der die Oper entstand. Anfang der 30er Jahre ließ Stalin in der Sowjetunion unzählige Menschen ermorden, die seiner Meinung nach der Fortentwicklung des Sowjetvolkes im Wege standen. Und ganz besonders Künstler oder Intellektuelle lebten bekanntlich unter ständiger Lebensbedrohung. Dimitri Schostakowitsch gehörte zu den wenigen, die als ideologische Abweichler angegriffen und angefeindet wurden, ohne in das Mahlwerk der Vernichtung zu geraten. Das veränderte den Menschen und Künstler für immer.
Zu Beginn war Lady Macbeth ein großer, rasch über die Bühnen eilender Erfolg gewesen. Nur zwei Tage nach der Leningrader Uraufführung 1934 war Moskau gefolgt; und an etlichen europäischen und, man will es kaum für möglich halten, US-amerikanischen Theatern war der Erfolg nicht geringer. Schostakowitsch war mit einem Schlag zum bedeutendsten russischen Komponisten seiner Zeit geworden.
Der schicksalhafte Moment kam, als Josef Stalin im Dezember 1935 ins Moskauer Bolschoitheater ging, um sich anzuschauen, was die Menschen so begeisterte. Ob nun, wie es in den Memoiren von Schostakowitsch heißt, die draufgängerische Interpretation der Partitur von Dirigent und Orchester die Lage verschlimmert haben oder nicht: Stalin war nicht erbaut. Er wird erkannt haben, dass neben den außergewöhnlichen musikdramatischen Qualitäten des Stücks auch die offen liegende Gesellschaftskritik zu der auffälligen Beliebtheit geführt hat. Der zwei Tage später in der Prawda erschienene Artikel „Chaos statt Musik“ bereitete dem Siegeslauf der Oper ein jähes Ende – und vorerst auch der bis dahin steilen Karriere ihres Autors. Lady Macbeth und ihren Schöpfer trafen die drastischen Vorwürfe der „’linken’ Zügellosigkeit“ und des „’kleinbürgerlichen’ Neuerertums“. Es hieß dort u. a.: „Die Fähigkeit guter Musik, die Massen mitzureißen, wird hier kleinbürgerlichen, formalistischen Anstrengungen und der Verkrampfung geopfert, damit man mit den Methoden der Originalitätshascherei Originalität vortäuschen kann.“ Ein ganzes Jahr lang war Schostakowitsch in seiner Heimat eine „persona non grata“. Aus Angst, in der Nacht abgeholt zu werden, schlief er etliche Monate hindurch angezogen neben dem gepackten Koffer.
Kritik an seiner Zeit sollte der Komponist von nun an so tief in seinen Partituren verbergen, dass sie für die meisten unentdeckt blieb. Eine Oper schrieb er nie wieder. Dreißig Jahre nach der Uraufführung gelang es dem inzwischen längst wieder etablierten Komponisten, seine Lady in einer textlich und musikalisch entschärften Variante wieder zum Leben zu erwecken. Der Erfolg des Stücks in den vergangenen zwanzig Jahren im „Westen“ basiert jedoch auf der drastischen Urfassung, die es auch in Linz zu erleben geben wird (und die erst vor zwei Jahren erstmals in Moskau gegeben wurde).
Die Musik der Oper verdammt den verzweifelten Versuch Katerinas, ein freier, froher Mensch zu werden, nicht. Auch nicht, nachdem dieser Versuch sie zur Ehebrecherin und Mörderin gemacht hat. Im Gegenteil: Katerinas Sehnsucht nach Glück und ihrem Willen, sich gegen ihre gewalttätige Umwelt zu behaupten, gelten Schostakowitschs ganze Sympathie und – wenn sie immer wieder scheitert – sein Mitgefühl. Was ihre Umwelt angeht, so hatte es der Prawda-Artikel ganz richtig benannt: „Die Kaufleute und das Volk – alle werden stumpf und grausam dargestellt.“ Der sadistische Schwiegervater, die rohe Masse der Arbeiter, die scheinheiligen Popen und korrupten Polizisten, die ihr im Weg stehen, werden von der Musik zu lächerlichen Gestalten, zu Karikaturen gemacht. Die reale Angst, die ein Mensch der 1930er Jahre haben konnte, durfte sich im Schutz des dunklen Theatersaals in Hohngelächter entladen. Wir haben in diesem Land das Glück, nicht in einer solchen Situation zu leben. Dennoch kommt einem vieles in dieser Oper noch aktuell vor – Auswüchse patriarchalischer Rollenverteilungen, Korruption und Gewalt überhaupt sind nicht ausgestorben. Der Grund jedoch, warum diese Oper heute noch so fesselnd ist, liegt im Mitgefühl der Musik mit der Heldin. Wie oft scheitern Versuche glücklich zu werden? Wie oft nimmt jemand Schaden, weil ein Mensch sein Glück machen möchte? Lady Macbeth ist eine Oper über Sehnsüchte und Fehler von Menschen.
Felix Losert
Oper in vier Akten und neun Bildern
Libretto von Alexander Preis und Dimitri Schostakowitsch
nach der gleichnamigen Novelle (1865) von Nikolei Leskow
Übersetzung von Jörg Morgener und Siegfried Schoenbohm
Uraufführung St. Petersburg (Leningrad) 1934
MUSIKALISCHE LEITUNG Ingo Ingensand/Marc Reibel
INSZENIERUNG Andreas Baesler
BÜHNENBILD Karel Spanhak
KOSTÜME Henrike Bromber
CHORLEITUNG Georg Leopold
DRAMATURGIE Felix Losert
MIT
Boris Timofejewitsch Ismailow, Kaufmann
KLAUS-DIETER LERCHE
Sinowij Borissowitsch Ismailow,
sein Sohn, Kaufmann
IURIE CIOBANU/
YURANNY HERNÁNDEZ GÓMEZ
Katerina Ismailowa, dessen Frau
ALAINE RODIN
Sergej, Handlungsgehilfe bei Ismailow
ERIK NELSON WERNER
Aksinja, Köchin
EKATERINA KARANESCHEVA
Der Schäbige, ein verkommener Arbeiter
HANS-GÜNTHER MÜLLER
Verwalter
FRANZ BINDER
Hausknecht
LEOPOLD KÖPPL
1. Vorarbeiter
EUGEN FILLO
2. Vorarbeiter
CSABA GRUENFELDER
3. Vorarbeiter
JOCHEN BOHNEN
Mühlenarbeiter
MARIUS MOCAN
Kutscher
PETAR ASENOV STEFANOV
Pope
WILLIAM MASON
Polizeichef
ALIK ABDUKAYUMOV
Polizist
ANDRZEJ ULICZ
Lehrer
MATTHÄUS SCHMIDLECHNER
Betrunkener Gast
HANS WOLFINGER
Sergeant
BORIS DASKALOV
Wächter
MARKUS SCHULZ
Sonjetka, Zwangsarbeiterin
KATERINA HEBELKOVA
Alter Zwangsarbeiter
NIKOLAI GALKIN
Zwangsarbeiterin
CHERYL LICHTER
CHOR UND EXTRACHOR DES LANDESTHEATERS LINZ
STATISTERIE DES LANDESTHEATERS LINZ
BRUCKNER ORCHESTER LINZ
Weitere Termine: 25. und 31. Mai; 3., 8., 20. und 23. Juni und 3. Juli 2009