Jan Fabre, 1958 geboren, lebt in Antwerpen. Er ist Künstler. Regisseur, Performance-Künstler, Choreograph und Theaterautor. In seinem neuesten Stück hält er uns bitterböse, mitunter auch komisch, den Spiegel vor. Wo wir längst schon nicht mehr hinzuschauen vermögen, wenn uns in den Medien Bilder voller Brutalität, Gewalt und Barbarei vorgesetzt werden, werden wir in seiner "Orgie der Toleranz" 100 Minuten lang frontal mit den Desastern des 21. Jahrhundert konfrontiert.
In seiner als europäische Erstaufführung gezeigten Performance am Tanzhaus NRW wird Selbstbefriedigung zu einem Wettkampf, angetrieben von Gewehrbewaffneten zu einem Schneller und Öfter. Behäbige Chesterfieldsessel werden zu Lustobjekten. Jan Fabre zeigt uns eine Welt, in der Lust nur noch leere Triebbefriedigung ohne Vergnügen ist, also reiner Konsum. So ist es fast schon nicht mehr verwunderlich, wenn Schwangere Waren statt Kinder direkt in den Einkaufswagen gebären und selbst in einem Fastfood-Restaurant an der Theke Orgasmen verlangt werden. Voller überschäumender Glücksverheißung werden diese Einkaufswagen dann bei einem Straußwalzer zu einem orgiastischen Ballett. Shop till you drop. Die Kreditkarte ist das wichtigste Utensil.
Fabres Konsumkritik wird zur Medienkritik, wenn Jesus als JC zum neuen Supermodel gekrönt wird. Das Thema der sexuellen Gewalt und Perversion wird noch einmal aufgegriffen, wenn er Szenen aus Abu Ghraib nachstellt. Parallelen zwischen Rassismus und Terrorismus werden aufgezeigt. Und der verbale Rassismus gegen eigentlich Jeden erreicht seinen Höhepunkt, wenn eine ohnehin schon hellhäutige Frau von ihrem Mann mit Schaum abgeschrubbt wird, damit sie noch weißer wird.
Konsum- und Medienkritik sind nicht neu. Das alles wissen wir schon längst. Aber halten wir uns auch daran, haben wir unser Verhalten geändert? Wohl kaum. Inzwischen hat sich das exzessive Konsumverhalten global wie ein Flächenbrand ausgebreitet. Ein Innehalten scheint auch jetzt trotz des Zusammenbruchs der Finanzmärkte nicht stattzufinden. Neue Lösungen für ein geändertes Konsumverhalten und einen sorgsamen Umgang mit Ressourcen, also ein anderes Wirtschaftssystem, werden von der Politik nicht einmal angedacht, stattdessen versucht man wieder alles ins rechte, gewohnte Lot zu biegen. Und so wird selbst Barack Obama als Hoffnungsträger und Lichtgestalt in Frage gestellt.
Auch Jan Fabre zeigt keine Lösungen, legt aber Feuer in die schwärende Wunde. Seine "Orgie der Toleranz" zeigt, wohin man mit missverstandener Toleranz kommt. Sie ist provokant, schamlos, extrem, mitunter schwer erträglich, intensiv, aber keine Minute langweilig. Und eine überragende Leistung der Darsteller.
Konzept, Regie, Choreografie, Bühne: Jan Fabre, Textkreation zusammen mit den Akteuren Dramaturgie: Miet Martens
Darsteller: Linda Adami, Christian Bakalov, Katarina Bistrovic-Darvas, Annabelle Chambon, Cédric Charron, Ivana Jozic, Goran Navojec, Antony Rizzi, Kasper Vandenberghe
Musikkomposition, Liedtexte: Dag Taeldeman
Licht: Jan Dekeyser, Jan Fabre
Kostüme: Andrea Kränzlin, Jan Fabre
Foto: F. Heyman
Empfohlen: für Zuschauer über 18 Jahren.
Vorstellungen in Düsseldorf 5. bis 8. Februar 2009