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"Jeanne oder Die Lerche" von Jean Anouilh, Städtische Theater Chemnitz

Premiere: 28. März 2015, 19.30 Uhr im Schauspielhaus Chemnitz, Große Bühne. -----

In einem langwierigen kirchlichen Gerichtsverfahren wird die Bauerntochter Jeanne d’Arc 1431 der Ketzerei für schuldig befunden und auf einem Scheiterhaufen in Rouen/Frankreich verbrannt. Mittels dieser Farce entledigen sich die englischen Besatzer im Hundertjährigen Krieg einer Frau, die Unverzeihliches getan hatte:

 

Sie hauchte der demoralisierten französischen Armee wieder Leben ein, machte den zögerlichen Thronfolger Charles zum französischen König und inspirierte ein ganzes Land. Heute gilt Jeanne d‘Arc als Ikone des kulturellen Gedächtnisses Europas.

 

In Anouilhs großartigem, doch mittlerweile selten inszeniertem Stück wird Leben und Prozess der Jeanne d’Arc durchgespielt: ihre Kindheit, die Begegnung mit den göttlichen Stimmen, der Aufbruch zum klugen wie mutlosen Dauphin sowie ihre unerschrockene Haltung gegenüber den Anklägern. Bei aller Sympathie für die mutige Nein-Sagerin stärkt Anouilh die Position des Verhandlungsführers Bischof Cauchon, der – vergleichbar dem König Kreon in Anouilhs „Antigone“ – pragmatisch Ordnung ins Chaos der politischen Welt bringen möchte. Cauchon erachtet Jeannes Tod zwar als unnötig, braucht aber ihren Widerruf, um die gesellschaftlich stabilisierend wirkende Institution Kirche zu schützen.

 

Jeannes Ankläger von der Heiligen Inquisition vertreten eine deutlich aggressivere Haltung. Sich der Wirkmächtigkeit kluger PR bewusst, brauchen sie nichts weniger als eine Heldin. Und sie lassen nichts unversucht, Jeannes Stolz zu brechen. Dabei bedienen sie sich eines Menschenbildes, welches von der Angst der Machthaber vor dem Menschen geprägt ist und die Idee von Gott über ihn stellt. Anouilhs Ideologiekritik ließe sich leichtfertig der Zeit der großen Ismen des 20. Jahrhunderts zuordnen, wenn nicht unsere Zeit ganz eigene Ideologien bereithielte. Und so ist Anouilhs Prozess um Jeanne d‘Arc ein spannendes Kammerstück, in dem der Ich-sagende Mensch bis zuletzt gegen eine faktische politische Ordnung opponiert, deren Legitimation sich nicht zuletzt am Umgang mit der Außenseiterin zeigt.

 

Der französische Dramatiker Jean Anouilh wurde 1910 in Bordeaux geboren, studierte in Paris Jura und versuchte sich in den Zwischenkriegsjahren als Werbetexter und Drehbuchautor, bevor er sich als Theaterautor einen Namen machte. Zu Beginn des 2. Weltkrieges kämpfte er als Soldat und geriet für kurze Zeit in deutsche Kriegsgefangenschaft. Wieder in Freiheit, schrieb Anouilh in Paris als zeitweiliger Sympathisant Pétains für rechtsgerichtete Zeitungen. Ab 1941 arbeitete er an der Tragödie „Antigone“. Sie wurde 1944 uraufgeführt und gehörte zu den meistgespielten Stücken im besetzten Frankreich. Der andauernde Erfolg der Inszenierung half Anouilh nach dem Krieg, Anschuldigungen wegen geheimer Kollaboration abzuwehren. Vergeblich versuchte er hingegen mit einer Unterschriftenaktion den wegen Kollaboration zum Tode verurteilten Dichter Robert Brasillach zu retten.

Als Dramatiker blieb Anouilh mit international erfolgreichen Stücken wie „Jeanne oder Die Lerche“ (1953) und „Becket oder Die Ehre Gottes“ (1959) produktiv. Privat zog er sich immer mehr zurück. Er starb 1987 in Lausanne.

 

Bogdan Koca, Regie und Bühne

Bogdan Koca arbeitet als Schauspieler, Dramatiker, Regisseur, Schauspiellehrer, Komponist, Bühnen- und Kostümbildner. Er studierte bis 1975 Schauspiel an der Warschauer Theaterakademie, war anschließend am Polnischen Theater in Wrocław engagiert und wurde für seine Darstellungen mit zahlreichen Preisen geehrt. Ende der 1970er-Jahre emigrierte er aus dem sozialistischen Polen nach Australien. In Sydney etablierte er die „Thalia Theatre Company“ und später das „Sydney Art Theatre“, wo er eigene Stücke ebenso inszenierte wie europäische Dramatik von Shakespeare bis Gombrowicz. Von 1994 bis 1997 war er Leiter des Departments Schauspiel der University of Western Sydney. Für seine schauspielerische Leistung in „Ghosts … of the Civil Dead“ (1988) wurde er für die „Australian Film Industry Awards“ als bester Nebendarsteller nominiert, Kocas Stück Mein Name ist Soundso 1994 für den renommierten „Green Room Award“ vorgeschlagen. Nach Polen zurückgekehrt, leitete er von 2009 bis 2013 das Cyprian Kamil Norwid Theater in Jelenia Góra. Am Schauspiel Chemnitz inszenierte er bereits „Hamlet“ (Shakespeare), „Mein Name ist Soundso“ (Koca) und „Hannahs Dämon“ (Rault).

 

Deutsch von Franz Geiger

 

Regie und Bühne: Bogdan Koca

Kostüme: Ricarda Knödler

 

mit: Maria Schubert (Jeanne) sowie Ulrich Blöcher, Magda Decker, Ulrike Euen, Dominik Förtsch, Grégoire Gros, Ulrich Lenk, Stefan Migge, Christian Ruth, Lysann Schläfke, Philipp von Schön-Angerer, Susanne Stein

 

(Die in Anouilhs Stückvorlage festgesetzten Rollenbezeichnungen, bis auf Ausnahme der Titelfigur Jeanne, hat der Regisseur Bogdan Koca aufgelöst. Ihm ist weniger eine historische Verortung als vielmehr das jeweils Exemplarische der Figuren wichtig.)

 

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