Zeit seines Lebens hat der Autor und Regisseur Thomas Harlan (1929 - 2010) mit seinem Familienerbe gerungen. Sein Vater Veit Harlan war tief verstrickt in den Nazi-Apparat und drehte u.a. den antisemitischen Propagandafilm "Jud Süß". Das künstlerische Werk des Sohnes Thomas kreiste immer wieder um die Fragen von Schuld, Verantwortung und Wahrheit im Konflikt mit der Generation der Väter.
Nach der Beschäftigung mit der Politik der Angst und mit Angst als Instrument von Herrschaft nehmen Vierte Welt Kollaborationen nun die Person und das Schaffen Thomas Harlans zum Ausgangspunkt für ein theatrales Archiv der Wahrheiten. Das Projekt HARLANS KINDER - acht Tage-achtzig Wahrheiten präsentiert vom 2. bis 9. Dezember ein spannendes Programm aus Film, Gespräch, Lesung und Performance, das über seinen diskursiven Aufbau das Publikum mit einbezieht.
Was bleibt, wenn alles verkauft ist? Wer wird schuld gewesen sein? Der Vater hatte mit seinem Film "Jud Süß" ein Mordinstrument geschaffen und sich bis zu seinem Lebensende jeglicher Verantwortung entzogen. Für den Sohn bleibt das unverzeihlich, sein unbeschadetes Glück ist ihm unerträglich. Er flieht aus dem Land, in dem sein Vater gerichtlich von Schuld frei gesprochen wird. Gefangen in einer Liebe zum Vater und in der Erfahrung einer glücklichen Kindheit in grausiger Zeit versteht sich der Sohn sein Leben lang als unentrinnbarer Erbe seines Vaters.
Wie kaum ein anderer deutscher Künstler hat Thomas Harlan am Trauma der eigenen Herkunft und Geschichte gearbeitet. Seine Biografie, seine Person, sein radikales politisches Engagement und sein künstlerisches Werk sind von den Kategorien Schuld, Verantwortung, Wahrheit und Vaterliebe geprägt. Die Weigerung der Väter, sich nach 1945 zu ihren Taten zu bekennen und die Wieder-Besetzung der Macht durch die Täter ist das Grundthema seines Schaffens.
Mit HARLANS KINDER nehmen Vierte Welt Kollaborationen die Person Thomas Harlan und dessen Werk zum Anlass, jenseits von moralisch-pädagogischen Aufklärungskonzepten seine künstlerischen Strategien und Schaffensprozesse zu untersuchen, die unerbittlich auf Tat, Schuld und Verantwortung insistieren. Harlan entfesselt das Trauma, das zum Treibstoff seiner künstlerischen Produktion wird, er kämpft um Wahrhaftigkeit. Ist diese Tragik wirklich obsolet, wie uns beständig von den auf- und abgeklärten Zeitgenossen eingeflüstert wird? Können wir Harlans Strategien für unsere Gegenwart produktiv machen?
Inwieweit werden die heute Handelnden – oder eben wieder einmal nur Zusehenden – beim sukzessiven Abbau unserer demokratischen Gesellschaft durch ausufernde Finanzkrisen, ungebremsten Rohstoffkapitalismus oder zunehmenden politischen Radikalismus
verantwortlich, ja schuldig gegenüber den nachfolgenden Generationen?
HARLANS KINDER nutzt Person und Schaffen Thomas Harlans als Material, Ausgangspunkt und Werkzeug für ein theatrales Archiv von Wahrheiten. Vierte Welt Kollaborationen öffnet dieses Archiv acht Mal zwischen dem ersten und dem zweiten Advent. Acht Tage, acht Themen, achtzig Wahrheiten werden in einer Mischform von Film, Gespräch, Lesung, Performance und mit Gästen präsentiert. Der diskursive Aufbau verlässt die herkömmlichen Theaterkategorien mit dem Ziel, das Publikum zu verwickeln und zum Mitmachen zu verführen, denn: Wir alle sind HARLANS KINDER.
Eine Produktion von Vierte Welt Kollaborationen gefördert durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten und durch die Konzeptionsförderung des Fonds Darstellende Künste e.V. aus Mitteln des Bundes.
Von und mit: Dirk Cieslak, Dennis Daniel, Florian Guist, Simone Haverland, Annett Hardegen, Schokofeh Kamiz, Katharina Meves, Sabina Moncys, Wolfram Sander, Alexander Schröder, Mariel Jana Supka, Judith van der Werff
Programm
Sonntag 2.12 | Wenn die Ausnahme zur Regel wird | 17:00
Montag 3.12 | Ökonomischer Putsch | Ein Spiel | 19:00
Dienstag 4.12 | Viertes Reich | Mit Gästen | 19:00
Mittwoch 5.12 | Vom Wundkanal zum Opfergang | 19:00
Donnerstag 6.12 | Vatermord und Söhnesterben | 19:00
Freitag 7.12 | Rosa aus Kulmhof | 19:00
Samstag 8.12 | Chor der Köche | 19:00
Sonntag 9.12 | So etwas Ähnliches wie die Wahrheit | 19:00
Ort Vierte Welt | Kottbusser Tor | Neues Zentrum Kreuzberg, Galerie 1. OG | Zugang über die
Außentreppe Adalbertstr. 96 | 10999 Berlin
Öffnungszeiten an den Adventssonntagen jeweils von 17:00 - 21:00 Uhr
An allen anderen Tagen täglich von 19:00 - 22:00 Uhr
Reservierungen: Karten@viertewelt.de | Fon: 01578 8440941
Homepage www.viertewelt.de