Die allgemeine wirtschaftliche Not der Zeit – allein in Deutschland gab es damals fast sechs Millionen Arbeitslose – spiegelt sich im Bedürfnis der Gesellschaft nach Abgrenzung gegenüber Armut. Unverzichtbar sind hierbei Status und Hierarchien, die Sicherheit und Ordnung vorspiegeln und die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg lindern. So werden die Begegnungen zwischen Elisabeth und den Menschen ihrer Umgebung immer bösartiger . . .
Das Stück beginnt vor dem Anatomischen Institut. Elisabeth braucht dringend 150 Mark, um eine Vorstrafe zu bezahlen, da sie ohne Wandergewerbeschein gearbeitet hat. Deshalb möchte sie schon zu Lebzeiten ihre Leiche für die Forschung verkaufen. Aus Mitleid streckt ihr der Präparator das Geld vor, im Glauben, ihr damit einen neuen Wandergewerbeschein zu finanzieren. Noch bevor sie die 150 Mark abarbeiten kann, verliert sie ihre Stelle, weil sie als Verkäuferin nicht genug Umsatz macht. Als der Präparator herausfindet, daß sie mit seinem Geld ihre Vorstrafe bezahlt hat, erstattet er Anzeige gegen sie. Elisabeth wird wegen Betrugs zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt. Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf. Sie lernt vor dem Wohlfahrtsamt den jungen Schupo Alfons Klostermeyer kennen und verliebt sich in ihn. Als der von ihren Vorstrafen erfährt, verläßt er Elisabeth aus Angst um seine Karriere. Elisabeth, völlig entkräftet und verzweifelt, begeht Selbstmord.
Auf dem Höhepunkt der ersten Weltwirtschaftskrise im Februar 1932, traf Ödön von Horváth [Foto] auf einer Reise den Prozeßberichterstatter Lukas Kristl, der ihn fragte, warum sich die Dramatiker immer nur für Kapitalverbrechen interessierten und sich kaum jemals mit den "kleinen Verbrechen" beschäftigten. (Auch heute reichen ja fehlende 1,30 € eher zur Entlassung als das Versenken von Milliardenvermögen . . .) Kristl erzählte ihm vom Fall einer Korsettvertreterin, die wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Horváth nahm Kristls Anregung zum Anlaß, den "gigantischen Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft" zum Thema zu machen, "dieses ewige Schlachten, bei dem es zu keinem Frieden kommen soll, höchstens daß mal ein Individuum für einige Momente die Illusion des Waffenstillstandes genießt." So entstand Horváths "kleiner Totentanz", in dem er in verschiedenen Stationen den Leidensweg der mittellosen Elisabeth schildert, die trotz ihres Lebensmottos ("Ich lasse den Kopf nicht hängen!") schließlich an der Rigorosität des Systems zugrunde geht.
Inszenierung | Monika Hess-Zanger
Ausstattung | Petra Buchholz
Mitwirkende | Mara S. P. Stroot [ELISABETH] | Konrad Haller [Ein Schupo] | Florian Bender [Oberpräparator / Tierpfleger / MARIA / Ein Kamerad] | Heiko Grosche [Präparator / Er selbst, der Herr Amtsgerichtsrat / Ein Invalider ] | Sven Heiß [Vizepräparator / Ein hochgewachsener Herr / Ein Buchhalter / Ein Kriminaler] | Hanni-Isabell Schuster [JOACHIM, der tollkühne Lebensretter] | Jens Ulrich Steffen [Der Baron mit dem Trauerflor / Frau Amtsgerichtsrat / Ein dritter Schupo] | Sabrina vor der Sielhorst [IRENE PRANTL / Eine Arbeiterfrau / Ein weiblicher Schupo] |