Die arme Waise Amina ist die Braut Elvinos, eines reichen Grundbesitzers. Schon auf der Hochzeitsfeier regt sich Elvinos unbegründete Eifersucht gegen den Grafen Rodolfo, der im rustikalen Gasthaus an der Feier teilnimmt. Als Geistererscheinung tritt schließlich sogar Aminas verstorbene Mutter auf. Als Amina nachts im Zimmer des Grafen angetroffen wird, ist diese Eifersucht nicht mehr zu bremsen, was die Regie gut herausarbeitet. Elvino verstößt Amina und möchte jetzt die Wirtin Lisa zur Frau nehmen, die ihn längst liebt und Amina verdrängen möchte. Da klärt der Graf schließlich das Unglück auf, denn er allein hat begriffen, dass Amina in bewusstlosem Zustand des Nachwandelns in sein Zimmer eingedrungen ist. Er vermag den zornigen Liebhaber letztendlich von ihrer Unschuld zu überzeugen. Elvino gibt der Träumenden den Ring zurück und sie erwacht in den Armen des neugewonnenen Geliebten. Diese Handlungsstränge kann man in der präzisen Personenführung gut nachvollziehen. Die zwischen dem Grafen und Elvino hin- und hergerissene Amina erscheint schließlich in einem blutigen Kleid und wird von der Menge scharf verurteilt. Erst am Schluss kann sie sich aus diesem Teufelskreis befreien.
Vor allem musikalisch hat diese Aufführung viele Trümpfe in der Hand. Man spürt, dass "La Sonnambula" eine Hommage an das Prinzip der Arie ist. Vor allem die innere Struktur dieser Oper wird nicht nur vom Regieduo Morabito/Wieler überzeugend herausgearbeitet. Die sorgsam durchgeführte Scheidung von Hintergrund, Mittelgrund und Vordergrund ist deutlich erkennbar. Als Idyll ist dieses Werk hier durchaus aufzufassen, nicht als ländliches Volksstück, obwohl die Inszenierung auch diesen Aspekt durchaus berücksichtigt.
Das Staatsorchester Stuttgart musiziert unter der temperamentvollen Leitung von Andriy Yurkevych mit viel Verve und Brio - vor allem Bellinis natürliche melodische Einfallsgabe kommt nicht zu kurz. Die lyrischen Momente besitzen großen Empfindungsreichtum. Dass Amina eine Koloraturpartie par exzellence ist, macht Claudia Muschio bei ihrem grandiosen Rollendebüt mit jeder Faser deutlich. Die Neigung zur Exaltation ist deutlich bemerkbar. Adam Palka erfüllt die Baritonpartie des Grafen Rodolfo mit sonorem Timbre und Klangfarbenreichtum. Catriona Smith lässt soubrettenhafte Züge bei Aminas intriganter Konkurrentin Lisa hell aufblitzen. Dass die Gesangsmelodie bei Bellini stark im Mittelpunkt steht, macht auch die hervorragende Helene Schneiderman als Müllerin Teresa deutlich.
Die innere Einheit der Tages- und Nachterscheinung tritt bei dieser Inszenierung in den Vordergund, die auch mit alptraumhaften Elementen arbeitet. So leidet Amina sehr unter ihrem Zustand - davon zeugt nicht nur ihr blutverschmiertes Kleid. In der ersten Cavatine blitzt die einfach-anmutige Thematik glutvoll auf. Jubelnd ausströmende Glücksgefühle vermag Claudia Muschio ebenfalls berührend zu betonen. Stark davon geprägt sind auch die beiden Duette mit Elvino. Gefühle der Liebe und der Eifersucht gehen hier nahtlos zwischen Trillerduett, Chromatik, Vorhalten und Halbtonschritten ineinander über. Das Prinzip der Kadenzverzögerung wird außerdem beim "Gespensterchor" deutlich. Das rasant-elektrisierende Wechselspiel von Triller- und Laufketten vernachlässigt der Dirigent Andriy Yurkevych nicht. Dabei ist sogar die Gazie des Rokoko zu spüren.
Die abschließende Kantilene Aminas "Ah credea mirarti" klingt hier leidenschaftlich, fast melancholisch und trotzdem geradezu berückend. Charles Sy erweist sich bei dieser Aufführung als reicher Gutsbesitzer Elvino Amira durchaus ebenbürtig, weil er ja ebenfalls mit ihrem geheimnisvollen Schicksal verknüpft ist. So gelingt es ihm in zweiten Akt, die aus dem tiefsten Grunde des Elementaren empordrängenden kantablen Spannungen eindringlich zu beschwören. In weiteren Rollen imponieren Andrew Bogard als der in Lisa verliebte Bauer Alessio, Ruben Mora als Notar und Sandy Liebehenschel als La Strige. Eine großartige Leistung vollbringt ferner der Staatsopernchor Stuttgart unter der impulsiven Leitung von Bernhard Moncado.
Weiterer Höhepunkt ist bei dieser in jeder Hinsicht sehenswerten Aufführung die Chorerzählung, die mit motivisch abrupten Formulierungen und marschartigen Hauptgedanken aufwartet. Der Kern des ersten Finales mit der Entdeckung von Aminas scheinbarer Untreue steigert sich bei dieser gelungenen Aufführung zur beklemmenden Katastrophe. Dieses Largo besitzt dunkles Pathos und fasziniert als lyrische Ensemblekunst. Harmonisch durchsichtig gestaltet Andriy Yurkevych mit dem Staatsorchester Stuttgart auch jene Szene, als den schwatzhaften Bauern das Gespenst erscheint. Der D-Dur-Akkord mitten in Es-Dur erzeugt hier den geheimnisvollen Schauer des Chores.
Am Ende gibt es Jubel für diese ausgezeichnete Aufführung.