Beim einzigen großen internationalen Theaterfestival der Stadt zeigt die Schaubühne auch in diesem Jahr wieder außergewöhnliche Produktionen aus aller Welt. Darunter sind zum ersten Mal drei Inszenierungen in portugiesischer Sprache. Auch diesmal widmet das Festival einer bedeutenden Persönlichkeit des internationalen Theaters als Artist in Focus einen Programmschwerpunkt. Verschiedene Gesprächsformate begleiten das Programm. Anlässlich des 50. Jahrestages der »Nelkenrevolution« in Portugal findet eine Diskussionsrunde zum neuen Faschismus in Europa statt.
Artist in Focus: Alexander Zeldin
Im Zentrum steht 2024 das Werk des britischen Dramatikers und Regisseurs Alexander Zeldin. Den internationalen Durchbruch erfuhr er mit seiner Trilogie »The Inequalities«. Darin schafft Zeldin ein Triptychon der britischen Gesellschaft im Zeitalter eines von der Politik kaputtgesparten Sozialsystems. Nach »Beyond Caring« und »LOVE« ist beim FIND nun der dritte Teil zu sehen: »Faith, Hope and Charity«. Darin wird ein Nachbarschaftszentrum zum Ort von Solidarität und gemeinschaftlichem Zusammenhalt. In seiner neuesten Inszenierung »The Confessions«, die das diesjährige Festival eröffnet, geht Zeldin auf die Suche nach den Lebenslinien seiner eigenen Mutter und zeichnet das Bild einer persönlichen und politischen Emanzipationsgeschichte. Daneben wird erstmals Zeldins eigene Verfilmung seines Stückes »LOVE« in Deutschland zu sehen sein, gefolgt von einem Werkstattgespräch mit dem Künstler. Aus dem aktuellen Repertoire der Schaubühne ist Zeldins Inszenierung »Beyond Caring« (2022) zu sehen.
Internationales Panorama
Zum ersten Mal stellt das FIND 24 gleich drei Inszenierungen in portugiesischer Sprache vor. Bei unserem Festival rücken diese – vor dem Hintergrund des 50. Jahrestags der »Nelkenrevolution« am 25. April 2024 – in einen gemeinsamen Kontext. Die Revolution läutete gleichermaßen das Ende der letzten faschistischen Regime in Europa wie auch des europäischen Kolonialismus in Afrika ein. Doch welche Zukunft liegt im Zeitalter eines weltweiten rassistischen Rechtsrucks und der Selbstabschottung Europas vor den Migrationsströmen vor uns?
»Catarina e a beleza de matar fascistas« (Lissabon) des Autors und Regisseurs Tiago
Rodrigues begegnet in Form einer grotesken Fabel dem antifaschistischen Erbe Portugals. Eine widerständige Familie hat ein besonderes Ritual entwickelt – jedes Jahr wird ein Faschist gefangen und erschossen. Doch plötzlich regt sich auch in den eigenen Reihen Widerstand gegen die Gewalt. Was passiert, wenn ein neuer Faschismus genau diesen Humanismus als Schwäche ausnutzt?
Die Relikte des portugiesischen Kolonialismus in der Gegenwart verfolgt Marco Martins
in »Pêndulo« (Lissabon). Mit seinen Protagonistinnen und Ko-Autorinnen aus den einstigen Kolonien in Afrika und Lateinamerika, die heute als Pflege- und Reinigungskräfte in Lissabon arbeiten, entwirft er ein Panorama der Gesellschaft in Bewegung, zwischen Peripherie und Zentrum; zwischen Zuhause und Arbeit; zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Aus Brasilien, das bis heute mit der Bewältigung seines patriarchalen Kolonialerbes zu
kämpfen hat, ist »Manifesto Transpofágico« (São Paulo) von Renata Carvalho zu sehen, das die Lebensrealität der täglich von Gewalt bedrohten »travestis« beleuchtet. Den Blicken des Publikums ausgesetzt, erzählt Carvalho mit dokumentarischem Videomaterial vom systematischen Ausschluss jeglicher Andersartigkeit.
In »Not One of These People« (Quebec/London) kehrt ein zentraler Autor der Gegenwartsdramatik an die Schaubühne zurück: Martin Crimp; diesmal als Performer unter der Regie von Christian Lapointe. Auf der Bühne löst Crimp durch ein Deepfake-System Videostatements von Personen aus, die von einer künstlichen Intelligenz generiert wurden.
Das italienische Kollektiv Kepler-452 (Bologna) unternimmt mit »Il Capitale – un libro che ancora non abbiamo letto« den Versuch, zusammen mit den streikenden Fabrikarbeiter_innen eines norditalienischen Automobilzulieferers »Das Kapital« von Karl Marx auf die Bühne zu bringen. Nicht alle Beteiligten haben das Buch gelesen. Und so erkunden sie die enorme Distanz zwischen Theorie und Praxis, Kunst und Arbeit und werfen neue Fragen zur Aktualität des Klassenkampfes auf.
Das Theater KnAM aus Russland erforscht mit »Моя маленькая Антарктида (My Little Antarctica)« (Komsomolsk am Amur/Lyon) die verdrängten Ursprünge ihrer am östlichsten Ende des Landes gelegenen Heimatstadt in den Deportationen des Gulag. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nach Frankreich geflüchtet, schreibt die Gruppe in der Neufassung ihres Stücks die gespenstische Kontinuität der Gewalt in Putins Russland aus dem Exil fort.
Neue Dramatik an der Schaubühne
Über die internationalen Gastspiele hinaus sind beim FIND auch wieder aktuelle Produktionen neuer Dramatik an der Schaubühne zu sehen. Im Rahmen des Fokus auf Alexander Zeldin zeigen wir seine Inszenierung »Beyond Caring«. Außerdem ist die Uraufführung von »The Silence« von Falk Richter zu sehen, die als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen der Saison zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen wurde.
Das künstlerische Programm wird begleitet von Publikumsgesprächen und Podiumsdiskussionen zu den verhandelten Inhalten. In Anknüpfung an den Jahrestag der »Nelkenrevolution« findet eine Diskussionsrunde zum Thema »Faschismus in Europa: Über die Schönheit, den Rechtsruck zu verhindern« statt. Die Bühnenadaption von »Das Kapital« fortführend, gibt es unter dem Titel »Der Wert der Zeit« ein Gespräch über die Inszenierung, zur Aktualität des Buches und zu Perspektiven der Vergesellschaftung, u. a. mit Collettivo di Fabbrica GKN und Peter Birke.
FIND 2024 – Übersicht nach Spieltagen
Donnerstag, 18. April
20.00 – 22.00 Uhr The Confessions von Alexander Zeldin
Freitag, 19. April
19.00 – 21.00 Uhr The Confessions von Alexander Zeldin
21.15 – 23.45 Uhr Catarina e a beleza de matar fascistas von Tiago Rodriges
Samstag, 20. April
13.00 – 14.30 Uhr Podiumsgespräch: Faschismus in Europa:
Über die Schönheit, den Rechtsruck zu verhindern
15.00 – 17.00 Uhr The Confessions von Alexander Zeldin
16.00 – 17.40 Uhr Pêndulo von Marco Martins & Arena Ensemble
18.00 – 19.40 Uhr Il Capitale – un libro che ancora non abbiamo letto
von Kepler-452
20.00 – 22.30 Uhr Catarina e a beleza de matar fascistas von Tiago Rodriges
21.00 – 22.40 Uhr Pêndulo von Marco Martins & Arena Ensemble
23.00 Uhr FIND-Party
Sonntag, 21. April
14.00 – 15.30 Uhr Podiumsgespräch: Der Wert der Zeit
16.00 – 17.40 Uhr Pêndulo von Marco Martins & Arena Ensemble
18.00 – 19.40 Uhr Il Capitale – un libro che ancora non abbiamo letto
von Kepler-452
20.00 – 21.40 Uhr Pêndulo von Marco Martins & Arena Ensemble
Montag, 22. April
20.00 – 21.40 Uhr Il Capitale – un libro che ancora non abbiamo letto
von Kepler-452
Dienstag, 23. April
20.00 – 21.40 Uhr Not One of These People von Martin Crimp
Mittwoch, 24. April
17.30 – 19.10 Uhr Моя маленькая Антарктида (My Little Antarctica)
von Tatiana Frolova/Theater KnAM
20.00 – 21.40 Uhr Not One of These People von Martin Crimp
Donnerstag, 25. April
17.30 – 19.10 Uhr Моя маленькая Антарктида (My Little Antarctica)
von Tatiana Frolova/Theater KnAM
20.00 – 21.00 Uhr Film: LOVE von Alexander Zeldin
mit anschließendem Artist Talk
21.30 – 23.10 Uhr Моя маленькая Антарктида (My Little Antarctica)
von Tatiana Frolova/Theater KnAM
Freitag, 26. April
20.00 – 22.00 Uhr Faith, Hope and Charity von Alexander Zeldin
Samstag, 27. April
16.00 – 17.45 Uhr The Silence von Falk Richter
18.00 – 19.45 Uhr Beyond Caring von Alexander Zeldin
20.00 – 21.45 Uhr The Silence von Falk Richter
20.30 – 22.30 Uhr Faith, Hope and Charity von Alexander Zeldin
22.00 – 23.40 Uhr Manifesto Transpofágico von und mit Renata Carvalho
23.00 Uhr FIND-Party
Sonntag, 28. April
14.00 – 15.40 Uhr Manifesto Transpofágico von und mit Renata Carvalho
16.00 – 17.45 Uhr The Silence von Falk Richter
18.00 – 19.45 Uhr Beyond Caring von Alexander Zeldin
20.00 – 22.00 Uhr Faith, Hope and Charity von Alexander Zeldin
21.00 – 22.40 Uhr Manifesto Transpofágico von und mit Renata Carvalho
Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153, 10709 Berlin
www.schaubuehne.de