
Das Leiden des Gralskönigs Amfortas gewinnt hier eine geradezu überdimensionale Bedeutung. In seinen Schmerzen erinnert sich Amfortas an die Verheißung dessen, der ihn von seinen Qualen erlösen soll: "Durch Mitleid wissend der reine Tor." Schon bei der Anfangsszene mit Gurnemanz und einer unbekannten Frau gewinnt die Kundry-Symbolik ebenfalls eine überragende Bedeutung. Sie ist eine Verfluchte, die Christus verlachte.
Mystisches besitzt im ersten Akt große Präsenz, wo der Raum hinter Nebel-Schleiern erst allmählich sichtbar wird. Ein flimmernder Lichtkreis stellt recht überzeugend die geheimnisvolle Gralswelt dar, die sich allmählich ausbreitet und von den Protagonisten Besitz ergreift. Hinzu kommt noch eine Augmented-Reality-Brille, die sich einige Besucher im Festspielhaus aufsetzen dürfen, um noch mehr von der Inszenierung zu sehen. Bühne von Mimi Lien und Kostüme von Meentje Nielsen spielen dabei immer wieder durchaus virtuos mit verschiedenen Licht- und Strahleffekten, die sich beim Zuschauer einprägen. Hinzu kommen Video-Großaufnahmen von Joshua Higgason, die das Geschehen neu illustrieren.
Als Parsifal einen Schwan erschießt, wird er als Missetäter hereingeführt. Als reiner und unwissender Tor wird er aber immer mehr von einer unerklärlichen Macht ergriffen, die sein weiteres Leben bestimmt. Auf diesen Aspekt legt Jay Scheib in seiner Inszenierung ebenso großen Wert. Eine starke Szene ergibt sich bei der Aufführung in dem Augenblick, wo der kranke König hereingetragen wird - und die Stimme seines Vaters Titurel gebietet ihm auf gespenstische Weise die Enthüllung des Grals. Das Weihevolle dieser mystischen Handlung kommt dabei nicht zu kurz, der flimmernde Lichtkreis besitzt nicht nur eine symbolische Bedeutung.
In dunkle Gefilde entführt dann der zweite Aufzug, den Jay Scheib ausschnittweise in violette Dämonie hüllt. Klingsor agiert zeitweise mit einem unheimlichen Stiergeweih, das er sogar als Waffe einzusetzen scheint. Er ist krampfthaft darum bemüht, seine Macht über Kundry nicht zu verlieren, die in der Schwärze der Nacht trostlos verharrt. Schemenhaft erkennt man auch die Gestalt eines verfluchten Ritters. Die Wunde der Welt bricht auch hier wieder auf. Der bunte Blumenreigen mit den durchaus verführerischen Blumenmädchen wirkt zwar etwas aufgesetzt, doch blitzt dabei das Hintersinnige einer undurchdringlichen Scheinwelt auf. Kundrys gewaltige Auseinandersetzung mit dem sich letztendlich verweigernden Parsifal gewinnt bei dieser Inszenierung packende Wirkungskraft bis zur Vernichtung der Zauberburg, die im Nichts zu versinken scheint. Im dritten Aufzug zeigt sich wieder der sphärenhafte Zauber der Schwerkraft, wobei der Lichtkreis eine zentrale Stellung erhält. Leider fällt die Szene durch eine seltsame Kriegsmaschinerie ab, die nicht recht in die doch sehr entrückte Atmosphäre zu passen scheint. Auch die grandiose Welt des Karfreitagszaubers kommt stellenweise etwas zu kurz.
Doch die wilde Verzweiflung des immer noch unerlösten Gralskönigs Amfortas tritt wieder grell hervor, hinterlässt beim Publikum einen erschütternden Eindruck, der sich nicht verflüchtigt. Ein rätselhafter See gewinnt nicht nur symbolische Bedeutung, als der eintretende Parsifal mit dem heiligen Speer die Wunde des unglücklichen Amfortas berührt und damit schließt. Positiv ist die starke Verbindung zwischen Parsifal und Kundryl, die hier zuletzt nicht entseelt niedersinkt, sondern mit ihm weiterlebt. Allerdings gehen die Bilder nicht nahtlos ineinander über, sondern entwickeln manchmal ein etwas holpriges Eigenleben. Das Fließende des visuellen Übergangs kommt zu kurz, obwohl der See doch gerade darauf hinweist. Schopenhauers "Wille und Vorstellung" wird dabei nur angedeutet. Sphärenhaft-entrückte Übergänge und Sichtweisen waren Richard Wagner aber immer extrem wichtig, besonders im "Parsifal", der eine neue Welt aufstößt.
Musikalisch ist diese Neu-Produktion in jedem Fall hochwertig. Pablo Heras-Casado dirigiert das Bayreuther Festspielorchester durchaus fließend. Einfachheit und Klarheit dieser Musik zeigen aber auch eine Nähe zu leidenschaftlicher Intensität, deren sakrale Stärke sich auf die Sänger überträgt. Derek Welton gestaltet die wilden Amfortasklagen packend. Bewegend ist vor allem die Darstellung von Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der die lGeheimnisse dieser rätselhaften Figur zu beleuchten scheint. Als Parsifal bietet auch Andreas Schager eine gesanglich überragende Leistung voller Strahlkraft. Jordan Shanahan ergänzt die unheimlich zuckenden Rhythmen des Klingsor-Motivs mit stimmlicher Präsenz. Ein gesangliches Ereignis ist schließlich Elina Garanca als Kundry, die deren jugendliche Aura in dieser Szene überaus passend einfängt. Der geschickten Verwendung der Dissonanzen wird sie mit erstaunlicher Beweglichkeit in den Kantilenen gerecht, die das Verzweiflungs- und Lockmotiv deutlich erkennbar werden lassen. Der lebhafte Harmoniewechsel berührt auch den klangfarblichen Ausdruck von Elina Garancas Stimme. Dem Motiv des Leidens entlockt sie eine markante Tiefe: "Ein Sünder sinkt mir in die Arme". Bei der berühmten Passage "Ich sah - ihn - und - lachte..." springt die Stimme Garancas mit Leichtigkeit vom hohen H aufs tiefe Cis, ohne ihre herausgeschleuderte Wucht zu verlieren.
In weiteren Rollen überzeugen ferner Siyabonga Magungo und Jens-Erik Aasbo (1. und 2. Gralsritter), Betsy Horne, Margaret Plummer, Jorge Rodriguez-Norton und Garrie Davislim (1., 2., 3. und 4. Knappe), Evelin Novak, Camille Schnoor, Margaret Plummer, Julia Grüter, Betsy Horne und Marie Henriette Reinhold (Klingsors Zaubermädchen und Altsolo). Sehr gut trifft Pablo Heras-Casado mit dem Orchester das bewegte Zeitmaß und den lebhaften Harmoniewechsel des Mitleid-Motivs. Überhaupt weist das Motiv des Leidens bei dieser Aufführung eindrucksvoll auf die Wunde dieser Welt hin. Großen Jubel gab es auch für den ausgezeichneten Festspielchor unter der Leitung von Eberhard Friedrich (ebenfalls eindrucksvoll als Titurel: Tobias Kehrer).