"N" ist eine Koproduktion der französischen Ballettcompagnie Angelin Preljocaj mit Granular Synthesis, hinter der sich das deutsch-österreichische Künstlerpaar Kurt Hentschläger und Ulf Langheinrich verbirgt. In der Mathematik bezeichnet "N" die unbestimmte Konstante, aber "N" könnte auch niemand und jeder sein.
In einer beeindruckenden Inszenierung wird vor dem Zuschauer die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gewalt aufgezeigt. Das Stück beginnt folgerichtig in der Urgeschichte und zeigt auf der zunächst dunklen Bühne die erste Stammesrivalität. Dort lassen sich zwei nackte, diagonal angeordnete Körperhaufen erkennen, aus denen sich zwei Wesen lösen, die sich vierbeinig um ihren Haufen herumbewegen und mit ihrem Mund/Maul jeweils die Körperteile ihres Haufens neu sortieren. Ein ganz archaisches Bild, das an mythologische Erzählungen der Entstehung der Menschen denken lässt. Ganz allmählich bemerken diese beiden Tiermenschen, dass sich ihnen gegenüber eine andere Sippe befindet, bewegen sich aufeinander zu, verharren, kehren zu ihrer Sippe zurück, wenden sich wieder einander zu, greifen sich an und kehren dann wieder zurück. Die Haufen lösen sich auf, werden zu einzelnen Wesen. In repetitiven, präzisen Bewegungsabläufen schreitet die Entwicklung fort, werden Formen menschlicher Gewalt vorgeführt, wobei diese von beiden Geschlechtern ausgeführt wird. Mit Stöcken dirigieren sich die Tänzer brutal zu neuen Posen. In einer Videoprojektion rückt unaufhaltsam eine Formation von martialisch mit Streitäxten ausgerüsteten Rittern gegen die Tänzer vor. Die Computersimulation dekonstruiert diese Körper mit zunehmenden Tempo in bloße Formen.
Die Gewalt gegen Frauen wird durch brutales Einrichten der Körper dargestellt, wobei die Frauen mit offenen Mündern und krampfartig gespreizten Fingern zum stummen Schrei gefrieren. Folteropfer, deren Münder und Augen mit schwarzen Bändern verbunden sind, sind als Opfer an die Täter gekettet und müssen so den Anweisungen ihrer Folterer Folge leisten. In kühler Stilisierung werden Aggressivität, körperliche Gewalt, Unterdrückung und Erniedrigung präsentiert.
Vor dem Zuschauer entfaltet sich diese Genese der Gewalt in einem atemberaubend getanzten Tempo, wobei er durch die Synästhesie von Bild und Ton selbst permanentem Stress ausgesetzt ist. Der durchdringende elektronische Sound mit seinen Subbässen und die sich während des Ablaufs des Stückes steigernde Lichtintensität, die zuletzt in kaum mehr zu ertragendem Videoflickern und stroboskopischen Effekten mündet, setzen den Zuschauer selbst einer körperlich fühlbaren Resonanz aus. Das Licht der Erkenntnis löst sich in brutalem Flackern auf. Ballet Preljocaj und Granular Synthesis zeigen, dass das Thema der menschlichen Gewalt seit urgeschichtlichen Zeiten nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Konzept, Dramaturgie: Angelin Preljocaj, Kurt Hentschläger, Ulf Langheinrich; Choreografie: Angelin Preljocaj; Tanz: Ballet Preljocaj; Projektion, Bühne, Licht: Kurt Hentschläger; Musik, Sounddesign: Ulf Langheinrich; Kostüme: Angelin Preljocaj mit Martine Hayer; Film: DoDes’Kaden; Choreologie: Dany Lévêque.
26. Oktober 2006, weitere Termine im Tanzhaus NRW: 27. und 28.10.06