Mittlerweile ist es heruntergekommen, die Boote verrotten im jährlich vom Fluss überflute¬ten Erdgeschoss. Jasmin lebt mit ihrem Mann Artis, ihrem Sohn und der verwirrten Grossmutter Eka, nach dem Bankrott der von Artis in der Euphorie nach der Wende gegründeten Firma Lidums Business, in prekären finanziellen Verhältnissen. Ein Zimmer ist an das Paar Lana und Viktor untervermietet. Zu Beginn des Stückes kommt das Haus unter den Hammer: Vladimir Verdi, sekundiert von der Bankbevollmächtigten Ilse Emse, pfändet das verschuldete Haus. In diese verzweifelte Situation kehrt nach langer Abwesenheit überraschend die Mutter Jasmins zurück, begleitet von dem Musiker Michael und dessen zwei Menschenaffen. Alte Familiengeschichten, Erinnerungen und ideologische Zwiste haben nach wie vor ihre Wirkungsmacht. Und so geraten die labilen emotionalen Verhältnisse der Figuren zusehends aus dem Gleichgewicht und kulminieren in den Ereignissen einer Gewitternacht – vor dem Hintergrund eines tödlichen Zweikampfes der beiden Menschenaffen.
Inga Abele schreibt lakonisch und mit hoher Emotionalität zugleich. Ihre Dialoge verbinden poetische Melancholie mit grotesker Fantasie und politischer Bestandesaufnahme: In ihrer Familiensaga trifft die junge lettische Autorin präzise das Lebensgefühl einer Generation, die zwischen traumatischer histo¬rischer Erfahrung und den Hoffnungen und Ängsten nach dem politischen und wirtschaftlichen Aufbruch steht.
Peter Carps «Der Jasmin» ist eine Fortsetzung seiner Inszenierung von Anton Tschechows «Die Möwe», die zurzeit am Luzerner Theater ebenfalls zu sehen ist. Steht in Tschechows Stück die grosse, gesellschaftliche Umwälzung bevor, hat sie in Inga Abeles Stück stattgefunden. Tschechows grosse «Erzählung» des ausklingenden 19. Jahrhunderts wird jener der jungen lettischen Autorin, die immer wieder als der Tschechow des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird, gegenübergestellt.
Bis 23. April 2007, begleitend zu Inga Abeles Stück «Der Jasmin», ist die Fotografieausstellung des Innerschweizer Künstlers Ruedi Schorno im Foyer des Luzerner Theaters zu sehen. Ruedi Schornos Panoramafotografien sind Momente des Innehaltens und der intensiven Beobachtung auf einer Odyssee durch die Strassen Rigas und ihrer Vororte. Die Werke, fotografiert mit einer alten, sowjetischen Horizont-Kamera, sind eine vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Alltag einer Gesellschaft im sozialen und kulturellen Umbruch.