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Deutsche Erstaufführung: Anja Hillings BULBUS in den Münchner Kammerspielen

Premiere 23. Januar 2009, Werkraum

 

Bulbus ist in der Anatomie ein zwiebelförmiges Organ wie z.B. der Augapfel. Bei Anja Hilling ist BULBUS zunächst ein Dorf am Fuß eines Berges, am Rande der Welt, seltsam aus der Zeit gefallen.

Die vier alternden Bewohner scheinen mit ihrem Dorf verwachsen, Bulbuser Urgestein:

 

Die Dorfpolizistin Rosa züchtet Himbeeren und wartet auf ausbleibende Ereignisse. Albert Ross hat eine unbewohnte Pension, Hühner und einen kurzen Atem. Jutta Schratz steht in ihrem Gemischtwarenladen, der alte Markidis geht ihr zur Hand. Des Abends trifft man sich auf der Eisstockbahn und erzählt sich Geschichten. Und: "Die Geschichten sind gut. Alles drin. Vertrauen Idealismus Verrat Mut. Angst und Schuld. Die ganz großen Themen. Was brauchst du noch. Die Willkür der Handlung. Die Verkettung der Umstände. Blitz und Donner. Die Gemeinsamkeit der Hauptfiguren. Also auch Liebe. Später. Viel später."

 

Und da sind sie auch schon, die Hauptfiguren: Was wie eine Schreibanleitung klingt, flüstert Manuel der jungen Amalthea ins Ohr, die nach einer Eisdusche in der schönen Pension plötzlich wie gefroren in seinen Armen liegt. Seine Worte werden zum Handlungsmotor, angeworfen vom alten Markidis. Er hat Bulbus bei dem Wettbewerb STILLE DÖRFER SIND TIEF angemeldet und so kam Manuel, ein junger Reporter nach Bulbus. Amalthea ist zeitgleich einem Traum gefolgt und landet im Dorfbus des alten Markidis, der diesen für eine einzige Fahrt reanimiert. Manuel und Amalthea bringen die Vergangenheit der Bewohner zum Vorschein und reißen Bulbus aus seinem Dornröschenschlaf. Außer der Dorfpolizistin sind alle in Bulbus gestrandet: Eine Frau, die ihre kleine Tochter verlassen hat, ein Mann, der einen Richter erschossen hat um einen Griechen zu rächen, ein Kronzeugenpaar das Doppelselbstmord begeht und einen Sohn zurücklässt.

 

Bei den Zusammenkünften an der Eisstockbahn werden die einstigen Begebenheiten rekonstruiert: Die Figuren schlüpfen in ihre Vorgeschichten und früheren Beziehungen wie in Wintermäntel, die man überziehen und wieder abstreifen kann. Anja Hilling hat mit BULBUS einen poetischen Dorfkrimi geschrieben, in dem alles mit allem schicksalhaft zusammenhängt und nichts definitiv bewiesen werden kann. Denn die Hälfte unseres Sehorgans blickt nach innen.

 

Anja Hilling, Jahrgang 1975, lebt in Berlin und hat dort Szenisches Schreiben studiert. Seit 2003 ist sie mit ihren Stücken in der deutschen Theaterlandschaft unterwegs und mehrfach für ihr Schreiben ausgezeichnet worden. Ihr zweites Stück MEIN JUNGES IDIOTISCHES HERZ wurde 2004 beim Wochenende der jungen Dramatiker an den Münchner Kammerspielen vorgestellt und daraufhin in einer Werkstattinszenierung gezeigt. Mit MONSUN (2005 in der Regie von Roger Vontobel) und ENGEL (2006 in der Regie von Felicitas Brucker) hat sie ihre Arbeit an den Münchner Kammerspielen kontinuierlich fortgesetzt. Zuletzt wurde ihr Science-Fiction-Stück NOSTALGIE 2175 am Thalia Theater Hamburg uraufgeführt. BULBUS ist im Rahmen der Werkstatttage 2005 am Wiener Burgtheater fertiggestellt und uraufgeführt worden.

 

Christiane Pohle inszeniert regelmäßig an den Münchner Kammerspielen, wo zuletzt das Projekt PARZIVAL und die Inszenierung von Horváths ZUR SCHÖNEN AUSSICHT entstanden sind. Außerdem arbeitet Christiane Pohle u.a. am Düsseldorfer Schauspielhaus und am Wiener Burgtheater.

 

Regie Christiane Pohle

Bühne Annette Kurz

Kostüme Diana Ammann

Dramaturgie Julia Lochte

Musik Rainer Süßmilch

Licht Jürgen Tulzer

 

Amalthea Lena Lauzemis

Manuel Edmund Telgenkämper

Jutta Schratz Gundi Ellert

Der alte Markidis Jean-Pierre Cornu

Albert Ross Jochen Noch

Rosa Landen Annette Paulmann

 

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