Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Der Tanz der TrolleDer Tanz der TrolleDer Tanz der Trolle

Der Tanz der Trolle

"Peer Gynt" von Henrik Ibsen im Düsseldorfer Schauspielhaus

Copyright: Sebastian Hoppe

 

Was für ein Lebenslauf! Der Vater verspekuliert sich, wirtschaftet den Hof herunter und stirbt als Alkoholiker. Die verbitterte Mutter vergöttert ihren Sohn einerseits, anderseits schlägt und entwertet sie ihn, der klassische double bind. Peer Gynt, der Sohn, flieht in Lügen und Fantastereien, wird von den anderen ausgegrenzt und zum Außenseiter. Er ist kein Unschuldslamm. Ingrid entführt er noch in der Brautnacht ihrem Bräutigam und verlässt sie nach nur einer Nacht. Er findet Solveig, eine Aufrichtige, Fromme, Schöne. In einer Nacht beglückt er gleich drei Einsame. Er begegnet einem Trollmädchen, schwängert es, soll selber Troll werden und entzieht sich. Er wird zum Glücksritter in Amerika, treibt Sklavenhandel, wird reich. Er begegnet Anitra, einem Wüstenmädchen, das ihm seine Preziosen abschwatzt. Er landet in Kairo in einem Irrenhaus. Auf der Rückreise in die Heimat geht sein Schiff mit all seinen Reichtümern unter. Er rettet sein Leben auf Kosten des Schiffskochs. Der Tod erscheint als Knopfgießer, Peer kann ihm nur entkommen, indem er ein Zeugnis vorlegt, das ihm schließlich Solveig ausstellt, nachdem sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hat.

 

Die Suche nach Identität hat Henrik Ibsen in seinem Drama "Peer Gynt" in märchenhafte Bilder gekleidet. Staffan Holm siedelt das Geschehen in seiner Inszenierung für das Düsseldorfer Schauspielhaus in einem Museum an, dessen Ausgestaltung an das NRW-Forum vor Ort erinnert. Die großformatigen Fotografien auf den hellen Wänden spiegeln das äußere und innere Geschehen des Protagonisten in abstrahierter Form. Schwarz und weiß sind die Farben. Die Dorfgemeinschaft ist in Kostüme des 19. Jahrhunderts gekleidet, die im Übrigen auch die Trolle tragen, angereichert nur mit langen Schwänzen und blinden Brillen, die auf ihr Maulwurfleben verweisen. Nur der Außenseiter Peer trägt einen Norwegerpullover. Mit märchenhaften Elementen schildert Ibsen, wie jemand versucht, einer engstirnigen Gesellschaft zu entkommen und seinen Platz im Leben zu finden. In einer Schlüsselszene versucht Peer sich auf den Grund zu kommen, aber genau wie bei einer Zwiebel findet er nicht den Kern.

 

Staffan Holm dagegen findet beeindruckende Bilder für diesen exemplarischen Lebensweg. Gestalten wie auf August Sanders Portraits. Und jede Bewegung genauestens durchchoreographiert, angefangen von dem schwebend tänzelnden Gang Solveigs, zu der dann auch Peer korrespondiert, über die Bauernhochzeitstänze jenseits aller Folkloristik, die hinreißende Tanzparodie der Trolle zu Edvard Griegs Musik, einem faszinierenden, verführerischen Beintanz der Anitra, bis am Ende zu Peers Verschmelzung mit Solveig, fast einer Rückkehr in den Mutterschoß. Jede einzelne Rolle ist exakt analysiert und präzise umgesetzt. Mit subtilem Humor interpretiert Holm Ibsens kontrastreiche, zwischen Realität und Fiktion angesiedelte Welt, die archetypische Muster verarbeitet. Und das Ensemble läuft zu großer Form auf, bis in die kleinste Rolle ist das Stück bestens besetzt. Eine beeindruckende Leistung des grandiosen Teams.

 

Ein dramatisches Gedicht von Henrik Ibsen. Aus dem Norwegischen von Angelika Gundlach

 

Dauer: 3 Stunden, 30 Minuten - eine Pause

Besetzung / Team

Olaf Johannessen / Peer Gynt

Karin Pfammatter / Aase, seine Mutter

Anna Kubin / Solvejg

Taner Sahintürk / Aslak, ein Schmied / Von Eberkopf / Huhu / Der Pastor

Gregor Löbel / Mads Moen, der Bräutigam / Die Stimme / Hussein / Der Koch

Moritz Führmann / Mads Moens Vater / Der Dovre-Alte / Ein hässlicher Junge / Monsieur Ballon / Der Kapitän

Claudia Hübbecker / Mads Moens Mutter / Anitra

Aleksandar Radenkovi? / Ein Mann / Der Hoftroll / Master Cotton / Der Fellache / Der Knopfgießer

Janina Sachau / Ingrid, die Braut / Kari / Trumpeterstraale

Stefanie Rösner / Eine Frau / Die Trollprinzessin

Slobodan Besti? / Solvejgs Vater / Ältester Hoftroll / Begriffenfeldt / Der Fremde Passagier / Der Magere

 

Antonía Annoussi, Jens Bachmeier, Bettina Boos, Stavros Drakos, Alma Gashi, Cornelia Groß, Otto Hauptmann, Dmitry Ivanov, Brigitte König, Gisela Lang, Linda Marek, Kingsley Odiaka, Sofia Pfau, Roger Reade / Museumspersonal

Alexander Cröngen, Uwe Dahlheimer, Ralf Dräger, Ralf Schlüter (Bühnentechnik) / Museumspersonal

 

Regie: Staffan Valdemar Holm

Bühne: Bente Lykke Møller

Kostüme: Bente Lykke Møller

Choreografie: Jeanette Langert

Licht: Torben Lendorph

Dramaturgie: Katrin Michaels

 

Premiere: 02. März 2013

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 20 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EINE FAST HYPNOTISCHE STIMMUNG -- Gastspiel "Familie" von Milo Rau mit dem NT Gent im Schauspielhaus STUTTGART

Dieses Stück erzielte bei Kritikern zum einen große Zustimmung, zum anderen schroffe Ablehnung. Vor allem die nihilistischen Tendenzen wurden getadelt. Der Schweizer Milo Rau hat hier das beklemmende…

Von: ALEXANDER WALTHER

MIT LEIDENSCHAFTLICHEM ÜBERSCHWANG -- Richard Wagners "Walküre" mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra konzertant im Festspielhaus/BADEN-BADEN

Wagner hatte die Komposition der "Walküre" im Sommer 1854 begonnen, noch vor der Vollendung der "Rheingold"-Partitur. Der Dirigent Yannick Nezet-Seguin begreift mit dem vorzüglich disponierten…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUFSTAND DER UNTERDRÜCKTEN -- "Farm der Tiere von George Orwell im Schauspielhaus Stuttgart

"Kein Tier in England ist frei!" So lautet das seltsame Motto von George Orwells "Farm der Tiere", die wie "1984" auch irgendwie eine seltsame Zukunftsvision ist. Die Tiere wie Hunde, Hühner, Schafe…

Von: ALEXANDER WALTHER

VERWIRRUNG BIS ZUM SCHLUSS -- "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano im Theater Atelier Stuttgart

Eine geschickt verwobene und raffinierte Handlung präsentiert Vladislav Grakovski in seiner Inszenierung des Kriminalstücks "Es war einmal ein Mord" von Giovanni Gagliano. Spannung, Humor und…

Von: ALEXANDER WALTHER

BERÜHRENDE MOMENTE -- "Spatz und Engel" mit dem Tournee-Theater Thespiskarren (Produktion Fritz Remond Theater im Zoo, Frankfurt) im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

Edith Piaf und Marlene Dietrich stehen hier im Schauspiel mit Musik von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry als zwei Göttinnen des Chansons im Mittelpunkt des Geschehens. Und es ist gar nicht so…

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑