Die Regisseurin Anika Rutkofsky hat hier das Geschehen in eine Landschaft von Glashäusern verlegt, die Handlung kann man stellenweise aus der Vogelperspektive verfolgen. Es herrscht Wasserknappheit. Im zweiten Akt entsteht dann ein verwirrendes Gewächshaus mit vielen verschiedenen Pflanzen, wo der Wunderdoktor von der Menge als Guru verehrt wird. Der verzweifelte Nemorino möchte nun einen neuen Liebestrank, den er von Dulcamara nur gegen Bargeld erhält. Zu allem Überfluss verbreitet sich im Dorf noch die Kunde, Nemorinos reicher Onkel sei gestorben und der Neffe Alleinerbe geworden. Da jetzt alle Mädchen an Nemorino interessiert sind, kauft die eifersüchtige Adina Nemorino vom Militär los und gibt Belcore den Laufpass. Ende gut, alles gut. Und der Quacksalber Dulcamara verkauft seine Wundertränke weiterhin, die seinen Worten nach sogar zu Reichtum führen können, was ihm die Leute aber nicht recht glauben wollen.
Im abwechslungsreichen Bühnenbild von Uta Gruber-Ballehr und den Kostümen von Adrian Stapf entsteht hier allerdings eine regelrechte Achterbahnfahrt der Gefühle, wobei das Ende des ersten Aktes im magischen Lichtkegel mit viel Ironie und Sarkasmus überzeichnet wird. Es geht Anika Rutkofsky in ihrer subtilen Inszenierung auch darum, Wunder zu verstehen. Nemorino weiß von Anfang an, dass es sich bei dem seltsamen Wundertrank nur um Wein handelt. Die mythische Geschichte von Tristan und Isolde spielt hier ebenfalls eine merkwürdige Rolle. Sie verstärkt Nemorinos Glauben an die Veränderbarkeit seiner hoffnungslosen Situation. Er will jetzt in seiner Not an die Existenz von Magie und Zauberei glauben.
Der Trank verändert aber auch Adinas Blick auf Nemorino, was die Inszenierung von Anika Rutkofsky deutlich herausarbeitet. Sie schüttet Dulcamaras Trank (der nur aus Spucke, ein paar Haaren und Rotwein besteht) achtlos weg. Sie schlägt den Trank des Quacksalbers aus, weil sie davon überzeugt ist, aus ihrem eigenen Verhalten heraus Nemorinos Liebe zu gewinnen. Den Kontrollverlust von Adina inszeniert Anika Rutkofsky sehr konsequent, sie gerät nämlich manchmal geradezu in Panik und stürmt durch das Haus. Nur selten bemerkt man allerdings, dass Donizetti die Handlung eigentlich in einem baskischen Dorf angesiedelt hat. Es gibt nur wenige Verbindungen nach außen. Und das Bühnenbild verstärkt diese Abgeschlossenheit. Es geht nicht mehr um eine Landidylle, sondern das Glashaus wird ein Labor zur Untersuchung von Unordnung und Chaos. Das wirkt trotz einiger szenischer Schwächen durchaus plausibel.
Aufregend ist, dass die Pflanzen zu Mitspielerinnen werden. Das gut abgeschirmte Gewächshaus erscheint hier in unheimlicher Weise lebendig zu werden. Das ist eine sehr schöne Idee der Regie (Videoanimation: Philipp Contag-Lada). Musikalisch ist diese Produktion in jedem Fall ein Fest, auch weil sie eine deutlich weibliche Handschrift trägt. Danila Grassi ist eine Dirigentin, die dynamische Steigerungen mit dem Staatsorchester Stuttgart klug aufzubauen weiß. So besitzt der zweite Akt deutlich mehr Feuer und Brio als der erste - und auch das blühende melodische Leben offenbart sich beispielsweise in den Celli in betörender Weise. Sprühend-witzige Buffolaune überträgt sich auf die Sänger, die allesamt überzeugen können.
Die musikalische Personencharakteristik zeigt sich in ausgezeichneter Weise bei der überaus wandlungsfähigen Sopranistin Elena Tsallagova, die ihre Gefühle gesanglich wunderbar zu gestalten weiß. Der strahlkräftige Tenor Charles Sy gewinnt seiner Rolle als hin- und hergerissener Nemorino eine enorme stimmliche Präsenz ab, die sich im Laufe des Abends ungemein steigert. Dies beweist seine Romanze "Wohl drang aus ihrem Herzen" mit obligater Harfe und Englischhorn. Als ungeduldiger Belcore gefällt ferner der Bariton Johannes Kammler, dem wie Nemorino oftmals das Temperament durchgeht. Giorgio Caoduro ist ein famoser Bassist, der als pfiffiger Dulcamara seine Verehrer nicht nur bei der parodistischen Barcarole "Holdes Kind, ich hab Dukaten" mit glutvollen Kantilenen für sich einnimmt.
Ein Glanzstück ist bei dieser Aufführung außerdem das Quartett "Zeigst du dich ferner meinem Blick" des ersten Finales. Als Gianetta fesselt auch die facettenreiche Sopranistin Lucia Tumminelli. Der Staatsopernchor Stuttgart (Leitung: Bernhard Moncado, Manuel Pujol) hat ebenfalls einen starken Auftritt. Phrasierungen, Artikulationen, Legati und Staccati werden immer wieder präzis eingesetzt.
Jubel, tosender Schlussapplaus.