Im Auftrag des Stadttheaters Bern haben dreizehn Autoren und Autorinnen Kurzstücke zum Spielzeit-Thema „Fremdsein“ geschrieben, von denen elf zur Uraufführung kommen.
Die Situation der Schweizer Dramatik hat sich in letzten Jahren stark verändert. War es bis in die 1990er Jahre für die subventionierten Stadttheater in der Deutschschweiz eine oft lästige Pflicht, der Pflege der einheimischen Dramatik nachzukommen, so haben in den letzten Jahren viele junge Dramatiker aus der Deutschschweiz international Aufsehen erregt.
Auffallend ist, dass ein grosser Teil dieser neuen Dramatikergeneration aus Berner Autoren besteht. Einige von ihnen schreiben im Berner Idiom, andere benutzen Helvetismen als prägendes sprachliches Stilmittel. Die neue Leitung des Stadttheaters Bern will mit den Berner Autoren einen Arbeitszusammenhang aufbauen, den Autoren aus der restlichen Schweiz und aus dem Ausland fruchtbar erweitern sollen.
Der Boom der Deutschschweizer Gegenwartsdramatik überschreitet jedoch nur selten die Sprachgrenzen: Nachhaltige Kontakte zwischen der Romandie und der Deutschschweiz bestehen kaum. Das Stadttheater Bern möchte die geographische Nähe zur Romandie nutzen und beginnt mit diesem Projekt auch die Zusammenarbeit mit frankophonen Autoren.
Konzeption
Die Reihe „Der Fremde ist nur in der Fremde fremd“ beinhaltet Uraufführungen kurzer Stücke, für die das Stadttheater Bern für die Saison 07/08 Werkaufträge vor allem an Autoren aus dem Kanton Bern vergeben hat. Die einzige Vorgabe bestand darin, dass die Stücke inhaltlich zum Stadttheater-Spielzeitthema „Fremdsein“ geschrieben sein sollen. Ziel der Reihe ist es, die Texte in vollwertigen Inszenierungen als Uraufführungen auf der Theaterbühne vorzustellen. Die Stücke, mit denen die Autoren und Autorinnen in den von der populistischen Politik bestimmten Diskurs eingreifen und ihn kritisch befragen, verbleiben anschliessend im Repertoire des Stadttheaters.
Inhaltlich beziehen sich die Stücke auf den Themenbereich „Fremdsein“, mit dem sich das Schauspiel des Stadttheaters Bern während der ganzen Spielzeit 07/08 schwerpunktmässig befasst. Formal wurden den Autoren keine Vorgaben gemacht. Die Stücktexte sind zwischen 10 und 45 Minuten lang. Dreizehn Autoren und Autorinnen wurden angefragt; insgesamt zwölf Stücke werden nun gespielt. Das deutsche Theater-Fachmagazin „Theater der Zeit“ publiziert die Stücktexte integral in seiner Februar-Ausgabe.
Der Fremde ist nur in der Fremde fremd / Schauspiel / 11 Uraufführungen
Samstag, 1. März 2008, 15.00 bis 23.00, Vidmar:1
Stückentwicklung: Erik Altorfer
Regie: Philipp Becker, Dominik Günther, Luise Helle,
Stefan Otteni, Katharina Ramser, Johannes Rieder,
Tanja Richter, Antje Thoms, Caro Thum
Bühne: Christoph Wagenknecht
Kostüme: Dorothee Brodrück, Susanne Waterkamp,
Sarah Bachmann, Stefanie Liniger, Romy Springsguth
Mit dem Schauspiel-Ensemble des Stadttheaters Bern und einigen Gästen
Die einzelnen Stücke:
„Prudence / Sicher ist sicher“
Autor: Olivier Chiacchiari
Regie: Johannes Rieder
Olivier Chiacchiaris „Prudence / Sicher ist sicher“ ist eine Farce über eine Kleinstadt, in der die Xenophobie das Fremde im Vertrauten suchen lässt.
„Von Schlangen und Pistolen“
Autorin: Darja Stocker
Regie: Caro Thum
Darja Stocker erzählt in „Von Schlangen und Pistolen“ die Geschichte von zwei jungen Migrantinnen, die mit unterschiedlichen Strategien und Lebenslügen ihr Schicksal zu meistern versuchen.
„Die Wilden“
Autorin: Marianne Freidig
Regie: Katharina Ramser
Marianne Freidigs „Die Wilden“ ist eine Heimatgeschichte über die Zukunft des Wintertourismus in Zeiten des Klimawandels.
„Schonzeit“
Autorin: Stefanie Grob
Regie: Caro Thum
Stefanie Grob lässt in ihrem Monolog „Schonzeit“ ein Stalkingopfer Distanz und Nähe zu seinem Täter herbeiphantasieren.
„und das da ist das überdruckventil“
Autor: Gerhard Meister
Regie: Dominik Günther
Gerhard Meister versammelt in „und das da ist das überdruckventil“ Momentaufnahmen einer Welt, deren Konturen sich in einer unfassbaren Drohung verlieren.
„Gentrification: Eine Unterhaltung mit meinem Nachbarn Henry“
Autor: Enda Walsh
Regie: Luise Helle
Enda Walsh zeigt in „Gentrification“ eine soziale Quartiersäuberungsaktion, in der das Geschichtenerzählen eine lebensrettende Sofortmassnahme ist.
„Für Fremdsprachige“
Autoren: Raphael Urweider / Michaela Leslie-Rule
Regie: Antje Thoms
Raphael Urweider und Michaela Leslie-Rule präsentieren mit „Für Fremdsprachige“ eine Satire über sprachliche Uniformität und linguistische Ausgrenzungsmassnahmen.
„Babel fish“
Autorin: Sabine Wen-Ching Wang
Regie: Philipp Becker
Sabine Wen-Ching Wang lässt in „Babel fish“ das gesichtslose Fremde in fantastisch anmutenden Lügengeschichten um Mitleid, Sympathie und Geld buhlen.
„Holla“
Autor: Händl Klaus
Regie: Stefan Otteni
Händl Klaus versucht in „Holla“ der Identität eines Herrn Steinbach auf die Spur zu kommen.
„Vaters Traum von Kirschbaumblüten“
Autorin: Daniela Janjic
Regie: Tanja Richter
Daniela Janjic zeigt in „Vaters Traum von Kirschbaumblüten“ die Zerreissprobe einer Familie in der europäischen Nachkriegswirklichkeit.
„Der Hugo isch Zucker“
Autor: Pedro Lenz
Regie: Johannes Rieder
Pedro Lenz lässt in „Der Hugo isch Zucker“ eine verliebte Frau in die Rassismusfalle tappen.
Zusatzveranstaltung
Installation „Aufsteigerjungs“:
Zur Reihe „Der Fremde ist nur in der Fremde fremd“ wird im Foyer der Vidmarhallen die Audioinstallation „Aufsteigerjungs“ von Andri Beyeler und Martin Bieri präsentiert, ein weiteres Projekt zum Spielzeitthema „Fremdsein“. Regie: Anna-Lisa Ellend und Albert Liebl.