Fragt man den gebürtigen Belgier Lode Devos nach dem Inbegriff der nationalen belgischen Identität, so platzt ein Name förmlich aus ihm heraus: Jacques Brel, der Künstler von Weltruf, der Mitte des 20. Jahrhunderts das frankophone Chanson wie kaum ein anderer verkörperte und noch heute so etwas wie Belgiens Aushängeschild ist.
Lode Devos wuchs mit Jacques Brels Musik auf, fand in ihr eine teilweise überraschend brutale, fast immer drastische und trotz härtester Kritik doch irgendwie liebevolle Widerspiegelung seiner Wahrnehmungen. Denn der Chansonier lud die Menschen zur Interpretation von Intoleranz, Verlogenheit und Vorurteilen einerseits und von Glück, Freude, Hoffnung und Selbstbewusstsein andererseits ein.
Jacques Brel, aus der von ihm sozial nur widerwillig akzeptierten Brüsseler Kleinbourgeoisie stammend, Sohn eines flämischen Vaters und einer wallonischen Mutter, war über lyrische Versuche und eher unbeholfen interpretierte christliche Lieder zum Chanson gekommen, das er zwar spät, aber umso intensiver als sein Metier entdeckte und zu neuer Selbstfindung annektierte. Sein Leben war fortan ein exzessives in nahezu allen Bereichen, auch in seiner Ausdrucksform. Ihn auf den Raubbau an sich selbst zu reduzieren wäre falsch, denn die Pausen, die sich der Kettenraucher zwischen dem Stardasein in Paris in seiner belgischen Heimat gönnte, waren Beleg seiner Zerrissenheit zwischen kleinbürgerlicher Prägung und dem Wüten gegen diese Wurzeln.
Nun plant Lode Devos keine Hommage an die 1978 verstorbene Legende, sondern er möchte Brels energiegeladene Lieder als Katalysator von Geschichten verwenden, an dem sich die Szenen reiben. Der Choreograf will zu den Chansons Episoden aus der Zeit seiner Jugend erzählen und als Beispiel einer kulturellen Identität aus Europa mit seinem internationalen Ballettensemble gestalten.
Choreografie: Lode Devos
Bühne und Kostüme: Christiane Devos
Es tanzt das Ballett Chemnitz