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BEMERKENSWERTE RARITÄTEN -- Bruckner- und Klose-Streichquartette mit dem Quatuor Diotima bei Pentatone

August 2024

Eine Rarität im Konzertsaal ist Anton Bruckners Streichquartett in c-Moll WAB 111, das im Jahre 1862 entstand. Hier werden unterschiedliche satztechnische Formen erprobt, was das gut aufeinander abgestimmte Quatuor Diotima mit Yun-Peng Zhao (erste Violine), Leo Marillier (zweite Violine), Franck Chevalier (Viola) und Alexis Descharmes (Cello) überzeugend herausarbeitet. Die Sonatenhauptsatzform kann sich im Kopfsatz jedenfalls platisch entfalten. Eine subtile kontrapunktisch-polyphone Satztechnik zeigt ihre klangliche Wirkungskraft in reichen Farben.

 

Copyright: Pentatone: Quatuor Diotima

Auch die Motive treten immer wieder präzis hervor - und die kühnen Modulationen weisen konsequent in die Moderne. Das Thema des Hauptteils besticht durch kantable Klarheit. Einflüsse  von Franz Schubert und Joseph Haydn sind unverkennbar - vor allem bei den Ländler-Passagen des Scherzo-Satzes. Das Sonatenrondo des schwungvoll gestalteten Finales reisst den Zuhörer ganz unmittelbar mit. Und auch die Schluss-Coda besitzt dabei eine fulminante dynamische Steigerung. Erst 1951 wurde dieses Werk vom Koeckert-Quartett uraufgeführt. Klassische Vorbilder lassen sich bei diesen logisch konstruierten Sätzen aber sehr wohl erkennen.

Das hier ebenfalls eingespielte Rondo c-Moll WAB 208 von Anton Bruckner erinnert an das c-Moll-Streichquartett. Dynamik und Artikulation von Thema mit Variationen in Es-Dur für Streichquartett stammen ebenfalls von Anton Bruckner. Das Thema in der ersten Variation wird hier vom Violoncello vorgestellt, bevor es durch alle Stimmen wandert. In der zweiten Variation bestechen dann die Zweiunddreissigstelfigurationen der Viola.  Entstanden ist dieses "Studienbuch" während der Lehrzeit Bruckners bei dem Musikpädagogen Otto Kitzler. Wenngleich diese Werke nicht die kompositorische Qualität des kontrapunktisch reichen Bruckner-Streichquintetts in F-Dur besitzen, beweisen sie aufgrund ihrer Originalität dennoch bleibenden Wert.

Anton Bruckner genoss auch einen hervorragenden Ruf als Organist und Lehrer. Er war Professor für Orgelspiel am Wiener Konservatorium. Zu seinen Schülern gehörte der 1862 in Karlsruhe geborene Friedrich Klose, der von 1886 bis 1889 in Wien Privatstunden  bei Bruckner nahm. 1907 wurde Klose selbst Kompositionslehrer an der Akademie der Tonkunst in München. Klose selbst gestand, dass Beethovens Streichquartett op. 132 mit dem Dankgebet eines Genesenen an die Gottheit besonderen Eindruck auf ihn machte. Auch sein Streichquartett  in Es-Dur ist deutlich von diesen Einflüssen geprägt. Er schrieb von 1908 bis 1911 an diesem Werk.

Klassische Vorbilder und konzentrierte Satzform stechen bei der präzisen Wiedergabe durch das Quatuor Diotima deutlich hervor. Das zeigt sich nicht nur bei der Sonatenform des Kopfsatzes mit seinem eindringlich gestalteten Unisonothema. Trillerartige Figuren stehen hier neben einem schlichten Gesangsthema. Das motivische Material besitzt eine reiche harmonische Vielfalt. Ausgezeichnet werden bei dieser Einspielung die unheimlichen Pizzicati des Scherzo-Satzes interpretiert. Dynamische Kontraste prägen dagegen stark das Rondo-Finale. Dem lyrischen Thema dieses Finales hat Klose die letzte Strophe von Friedrich Schillers Gedicht "Der Antritt des neuen Jahrhunderts" beigefügt.  Wagner und Bruckner, aber nicht Brahms haben hier Pate gestanden. Chromatische Aufschwünge wirken bei dieser gelungenen Einspielung  sehr modern und fast schon revolutionär. Im zweiten Adagio-Satz meint man sogar den frühen Arnold Schönberg zu erkennen. Charaktervolle Pizzicati stechen dann im dritten Vivace-Satz hervor.

Diese Aufnahme zeigt klangtechnisch kaum Schwächen, sie ist dynamisch weitgehend ausgewogen. Immer wieder überraschen weit ausschwingende Intervalle. Und auch die Unisono-Passagen im Finalsatz besitzen ein deutliches Charisma.
 

 

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