Nicht, dass diese nicht ohnehin schon in Arbeit erstickten; denn im Zuge eines frösteln machenden Sozialklimas nehmen zerrüttete Familien im verwahrlosten Zustand überhand – mit furchtbaren Folgen für die Kinder. Ihre Namen haben traurige Berühmtheit erlangt: Dennis, Lisa, André, Chantal, Kevin oder Jessica: so heißen die Opfer im wahren Leben. Ihren zuständigen Sachbearbeitern attestierte man hernach in kollektiver Fassungslosigkeit komplettes Versagen. Auch bei Felicia Zeller führen die drei Sozialarbeiterinnen Anika, Barbara und Silvia einen aussichtslosen Kampf gegen permanente Überlastung, Versagensängste, ausufernde Bürokratie, öffentlichen Druck und vergiftetes Betriebsklima, während ihr eigenes Leben an ihnen vorbeirast.
Aus Helfern werden Hilfsbedürftige, aus Sozialarbeitern Klienten. Stets ist der enorme Druck seitens der Vorgesetzten, der Medien, der Politik und der Klienten gegenwärtig. Denn wenn es zur Katastrophe kommt, werden Schuldige gebraucht. Wie geht man mit dem so brisanten und erschütternden Thema der Sozialarbeit am Abgrund von Familienzerrüttung und Kindesverwahrlosung bis hin zur Kindstötung angemessen auf dem Theater um? Eine beeindruckende Antwort darauf hat Felicia Zeller mit ihrem Stück Kaspar Häuser Meer gefunden. Fern einer abgeschliffenen Betroffenheitsrhetorik gibt sie einen Einblick in die Kampfzone der Sozialarbeiter. Sie hat den Alltag deutscher Jugendämter beobachtet und die Überforderung ihrer Mitarbeiter in rasenden Sprechattacken festgehalten; eine wütende Sprachperformance, die das Bild einer atemlosen Gesellschaft zeichnet, in der immer öfter Kinder zu Opfern tiefgreifender sozialer Veränderungen wie Sozialabbau, Orientierungslosigkeit, Wandel der Familienstrukturen und Beschleunigung des Erwerbslebens werden.
Kaspar Häuser Meer wurde bei den Mülheimer Theatertagen 2008 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und gehört zu den relevantesten Stücken zeitgenössischer Dramatik. Die Regisseurin Katrin Lindner, Jahrgang 1978, war nach dem Studium der Theater- und Medienwissenschaften in Erlangen drei Jahre als Regieassistentin am Schauspielhaus Bochum beschäftigt. Dort arbeitete sie unter anderem mit Elmar Goerden, Jan Bosse, Christian Tschirner, und führte bei mehreren Inszenierungen Regie. Seit 2008 ist sie als freie Regisseurin (z.B. Theater Rottkampstraße 5, Bochum und Landestheater Neuss) tätig. Vergangenes Jahr nahm sie als Stipendiatin am Internationalen Forum im Rahmen des Berliner Theatertreffens teil.
Inszenierung und Bühne Katrin Lindner
Kostüme Svenja Göttler
Chorleitung Peter Wallgram
Dramaturgie Oliver Held, Sven Kleine
Mit:
Anne-Catherine Studer, An Kuohn, Julia Wolff
Die nächsten Vorstellungen sind am 04. / 06. und 20. März 2011 im Kleinen Schauspielhaus.