Im Jahr ihres zehnjährigen Bestehens kann die Reihe (gemeinsam mit den 2009 begründeten THEATERGESPRÄCHEN) auf fast 300 Veranstaltungen zurückblicken. Mit 25 Vorträgen – und damit länger denn je – und einer begleitenden Filmreihe thematisiert GELEHRTE IM THEATER diesjährig den Ersten Weltkrieg im Spiegel der Künste und Wissenschaften.
„Vorlesung am Vorabend abgesagt. Morgens Einkäufe: Revolver. Nachmittags gegen 3 Uhr verkünden Extrablätter den drohenden Kriegszustand“, notiert der Elsässer Dichter Ernst Stadler am 31. Juli 1914 in sein Kriegstagebuch. Einen Tag später tritt Deutschland in den Krieg ein, am 3. August folgt Frankreich, am 4. August Großbritannien – am Monatsende werden es 15 Nationen von Europa bis Japan sein. Nach vier Jahren verzeichnen die Chronisten die verheerende Bilanz eines Krieges, der als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ in die Geschichte eingehen sollte: 10 Millionen Kriegstote, mehr als 20 Millionen Verletzte, ein unüberschaubare Anzahl physisch und psychisch gebrochener Menschen, verwüstete Landstriche und Städte, ein totaler Zusammenbruch der politischen Systeme und wirtschaftliche Folgen, die in Inflation und Arbeitslosigkeit noch jahrelang spürbar bleiben sollten.
Kriegserwartung, -verlauf und -folgen sind von Dichtern, Künstlern, Komponisten, Philosophen und Intellektuellen in außergewöhnlicher Fülle über Jahre hinaus europaweit literarisierend, musikalisch und bildkünstlerisch begleitet und kommentiert worden. Gedicht- und Bildzyklen, Romane und Theaterstücke belegen die Gemüts- und Seelenverfassung einer Generation, die seismographisch auf die Zeitereignisse reagierte und mythisierend, idealisierend, verklärend, angstvoll, anklagend oder dauerhaft traumatisiert auf den Krieg reagierte und nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen für das Gesehene und Erlebte rang. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg beförderte in zynischer Paradoxie eine unerwartet reiche Kunstproduktion, die unweigerlich den Weg in die Moderne wies.
Unter dem Titel MENSCHHEITSDÄMMERUNG. DER ERSTE WELTKRIEG UND DIE KÜNSTE wird die Reihe GELEHRTE IM THEATER in 25 Vorträgen ein großes Panorama der Zeit entfalten, und in den unterschiedlichen Kunstgattungen die vielgestaltigen Bilder des Krieges, die Künstler zum Ausdruck des Unfassbaren fanden, im europäischen Kontext vorstellen. Historiker von Rang wie Hans-Ulrich Wehler, Herfried Münkler und Christopher Clark werden die geistige Mobilmachung der Intellektuellen im Kriegsjahr 1914 erläutern, in einem Podiumsgespräch wird Starphilosoph Peter Sloterdijk die Rolle der bildungsbürgerlichen Eliten im Vorfeld des Weltkriegs erörtern. Vorträge über Gerhart Hauptmann, Karl Kraus, Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin sowie Bertolt Brecht reflektieren die Haltungen deutscher Großschriftsteller zum Kriegsgeschehen. Von Käthe Kollwitz über Ernst Ludwig Kirchner bis hin zu Otto Dix und George Grosz reicht das Spektrum der Künstler, deren erschütternde Bildschöpfungen zum Krieg vorgestellt werden. Weitere Beiträge widmen sich dem Musikleben in den Kriegsjahren, den Bildern der Mütter im Krieg wie auch schließlich den Opfern, den „toten und versehrten Helden“, in Literatur, Malerei und Denkmalkult nach 1918. Am 20. Juli, dem Gedenktag des deutschen Widerstands, soll in einem Abschlussvortrag die Traumatisierung der deutschen Gesellschaft durch den Ersten Weltkrieg thematisiert werden, um auf den eigentlichen „Gewinner“ des Kriegs zu verweisen: Adolf Hitler.
Eine begleitende Filmreihe (Montag, 5. Mai bis Montag 23. Juni 2014) widmet sich der cineastischen Umsetzung des Ersten Weltkriegs in internationalen Spielfilmen.
Idee und Konzeption: Wolfgang Türk, Theater Münster
Termine
Sonntag, 23. März, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie,
Universität Bielefeld
DER WEG IN DEN ERSTEN WELTKRIEG.
ENTSTEHUNG UND VORAUSSETZUNGEN
Sonntag, 30. März, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Roland Berbig
Institut für deutsche Literatur, Humboldt-Universität zu Berlin
„DICHTER KÖNNTE MAN WIRKLICH ZU HAUSE LASSEN …“.
LITERARISCH-KULTURELLE STREIFZÜGE IM KRIEGSJAHR 1914
Sonntag, 6. April, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Klaus Vondung
Germanistisches Seminar, Universität Siegen
APOKALYPTISCHE VISIONEN DES KRIEGS – VOR UND NACH 1914
Sonntag, 13. April, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Peter Petersen
Musikwissenschaftliches Institut, Universität Hamburg
MUSIKALISCHE MOBILMACHUNG IM ERSTEN WELTKRIEG
Sonntag, 27. April, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Heike Gfrereis
Deutsches Literaturarchiv Marbach
SCHREIBEN IM KRIEG.
BRIEFE UND TAGEBÜCHER DEUTSCHER SCHRIFTSTELLER
Donnerstag, 1. Mai, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Ribbat
Germanistisches Institut, Westfälische Wihelms-Universität Münster
ERZÄHLTER WELTKRIEG.
ALFRED DÖBLIN, ARNOLD ZWEIG, HERMANN BROCH – UND AVI PRIMOR
Sonntag, 4. Mai, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Gunter Reiß
Germanistisches Institut, Westfälische Wihelms-Universität Münster
HERRENRECHT.
LITERARISCHE REFLEXE EINER AUTORITÄREN GESELLSCHAFT
IM VORFELD DES ERSTEN WELTKRIEGS
Sonntag, 4. Mai, 15.30 Uhr
Prof. Dr. Peter Hoeres
Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
KRIEG DER PHILOSOPHEN.
EUROPÄISCHE INTELLEKTUELLE IM POLEMISCHEN GESPRÄCH
Sonntag, 11. Mai, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Barbara Vinken, Ph. D.
Lehrstuhl für Romanische und Allgemeine Literaturwissenschaft,
Ludwig-Maximilians-Universität München
KRIEG DER MÜTTER.
OPFERN FÜR DEUTSCHLAND
Sonntag, 18. Mai, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Hermann Korte
Germanistisches Seminar, Universität Siegen
STIMMEN ÜBER BARBAROPA.
DER ERSTE WELTKRIEG UND DIE LYRIK DES EXPRESSIONISMUS
Sonntag, 25. Mai, 11.30 Uhr
Priv. Doz. Dr. Ernst Piper
Historisches Institut, Universität Potsdam
NACHT ÜBER EUROPA.
DIE JÜDISCHEN INTELLEKTUELLEN UND DER ERSTE WELTKRIEG
Donnerstag, 29. Mai, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Frühwald
Institut für Deutsche Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
LITERARISCHER PAZIFISMUS.
GERHART HAUPTMANN, ERNST TOLLER, BERTOLT BRECHT
UND DER TRAUM VON EINER BESSEREN WELT
Donnerstag, 29. Mai, 15.30 Uhr
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Borchmeyer
Germanistisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
„GEDANKEN IM KRIEGE“.
EIN BRUDERZWIST IM HAUSE MANN
Sonntag, 1. Juni, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Jens Malte Fischer
Theaterwissenschaft München, Department Kunstwissenschaften,
Ludwig-Maximilians-Universität München
DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT.
KARL KRAUS UND DER ERSTE WELTKRIEG
Sonntag, 1. Juni, 15.30 Uhr
Prof. Dr. Volker Klotz
Institut für Literaturwissenschaft, Universität Stuttgart
ABTRÜNNIGER ANTIMILITARISMUS.
SELBSTVERRAT DER OPERETTE ANNO 1914 ff.
Sonntag, 8. Juni, 11.30 Uhr, Kleines Haus
PODIUMSDISKUSSION
Prof. Dr. Christopher Clark
Faculty of History, University of Cambridge
Prof. Dr. Herfried Münkler
Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
DER ERSTE WELTKRIEG ALS „URKATASTROPHE“ DES 20. JAHRHUNDERTS
Sonntag, 15. Juni, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Helmuth Kiesel
Germanistisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
VOM KRIEGSTAGEBUCH ZUM HELDENEPOS:
DIE VERARBEITUNG DER KRIEGSERFAHRUNG
BEI ERNST UND FRIEDRICH GEORG JÜNGER
Sonntag, 15. Juni, 15.30 Uhr
Prof. Dr. Uwe-K. Ketelsen
Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
WIR SIND „EIN GRAUES HEER UND FAHR’N IN KAISERS NAMEN“ .
WALTER FLEX’ UND ERICH MARIA REMARQUES WELTKRIEGSROMANE
Donnerstag, 19. Juni, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Uwe Pörksen
Deutsches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
ERSTER WELTKRIEG.
SPRACHE DER PROPAGANDA UND IDENTIFIKATION –
DES ZWEIFELS UND DER VERWEIGERUNG
Donnerstag, 19. Juni, 15.30 Uhr
in Kooperation mit dem Richard-Wagner-Verband Münster
Nora Eckert, Berlin
RICHARD WAGNER UND DER ERSTE WELTKRIEG.
ÜBER DIE BEGEGNUNG VON KUNST UND POLITIK IM MYTHOS
Sonntag, 22. Juni, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Uwe M. Schneede
Direktor der Hamburger Kunsthalle (1991–2006)
ABBRÜCHE UND BESCHLEUNIGUNGEN.
WIE SICH DIE KRIEGSERLEBNISSE IN DER BILDKUNST AUSWIRKTEN
Sonntag, 29. Juni, 11.30 Uhr, Großes Haus
PODIUMSDISKUSSION
Prof. Dr. Peter Sloterdijk
Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
Dr. Dr. h.c. mult. Manfred Osten, Bonn
„GEHORSAM UND LANGE BEINE“ (NIETZSCHE) –
1914: EINE URKATASTROPHE DER BILDUNG
Sonntag, 6. Juli, 11.30 Uhr
Prof. Dr. Sabine Kienitz
Institut für Volkskunde/ Kulturanthropologie, Universität Hamburg
BESCHÄDIGTE HELDEN.
KRIEGSINVALIDITÄT UND KÖRPERBILDER NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG
Sonntag, 13. Juli, 11.30 Uhr, Theatertreff
Prof. Dr. Hans-Ernst Mittig
Hochschule der Künste Berlin
ÜBER TRAUER HINAUS: WELTKRIEGSDENKMÄLER NACH 1918
Sonntag, 20. Juli, 11.30 Uhr, Theatertreff
Prof. Dr. Gerd Krumeich
Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
DIE DEUTSCHE GESELLSCHAFT UND DAS TRAUMA DES ERSTEN WELTKRIEGS oder WIE HITLER DEN ERSTEN WELTKRIEG GEWANN
Die Vortragsveranstaltungen finden, wenn nicht anders genannt, im Oberen Foyer des Theaters statt. Der Eintritt beträgt jeweils 10 € (erm. 5 €), bei Buchung der gesamten Reihe 150 € (erm. 75 €).
Filmreihe
Montag, 5. Mai, 20.00 Uhr
Marli Feldvoss, Frankfurt am Main
DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS KINO.
VOM ERSTEN MEDIENKRIEG ZUR FILMISCHEN ERINNERUNGSKULTUR: DEUTSCHLAND – ENGLAND – FRANKREICH – USA
im Anschluss, 22.00 Uhr
Film mit Einführung
ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (Im Westen nichts Neues)
von Lewis Milestone, USA 1930
Montag, 12. Mai, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
LA GRANDE ILLUSION (Die große Illusion)
von Jean Renoir, Frankreich 1937
Montag, 19. Mai, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
PATHS OF GLORY (Wege zum Ruhm)
von Stanley Kubrick, USA 1957
Montag, 26. Mai, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
JOHNNY GOT HIS GUN (Johnny zieht in den Krieg)
von Dalton Trumbo, USA 1971
Montag, 2. Juni, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
GALLIPOLI (Gallipoli)
von Peter Weir, Australien 1981
Montag, 16. Juni, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
LA VIE ET RIEN D’AUTRE (Das Leben und nichts anderes)
von Bertrand Tavernier, Frankreich 1989
Montag, 23. Juni, 20.00 Uhr
Film mit Einführung
UN LONG DIMANCHE DE FIANCAILLES (Mathilde. Eine große Liebe)
von Jean-Pierre Jeunet, Frankreich 2004
Die Filme werden jeweils in der deutschen Synchronfassung gezeigt. Die Filmvorführungen finden im Theatertreff des Theaters Münster statt. Der Eintritt beträgt jeweils 5 €, bei Buchung der gesamten Reihe 30 €.
Gesamtprogramm: www.theater-muenster.com
Kartenreservierung: Theaterkasse (Tel.: 0251.5909–100)