»Vor dem Ruhestand« wurde 1979 am Staatstheater Stuttgart uraufgeführt. Für Thomas Bernhard war es eine Anklage an Alt-Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust straflos davon kamen und ihre Karrieren fortsetzen konnten. Knapp 40 Jahre später erscheint das Stück angesichts des weltweiten Rechtsrucks wieder beklemmend aktuell.
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war das Leib- und Magenthema von Thomas Bernhard, der damit in seiner österreichischen Heimat stark provozierte, geliebt und gehasst wurde. Kaum eine Regisseurin könnte deshalb besser geeignet sein als die gebürtige Innsbruckerin Susanne Lietzow, die sich nach ihrem Erfolg mit der Inszenierung von Edgar Hilsenraths »Der Nazi & der Friseur« 2015 am Schauspielhaus Magdeburg nun wiederum mit der Sicht auf den Nationalsozialismus und seinen Folgen beschäftigt.
Für Susanne Lietzow sind die Figuren, die wegen ihres antiquierten Gedankenguts wie aus der Zeit gefallen scheinen, wie unausrottbare reptilienhafte Urtiere. Deshalb verortet sie sie in einem Bühnenraum, der an ein Terrarium erinnert. Abgeschottet von der Außenwelt, gehen sie dort ihren perversen Bedürfnissen nach, scheinbar von niemandem bemerkt. Die Regisseurin überzeichnet damit den bernhardschen Psychorealismus und macht damit die inhaltliche Dimension, die auch in dem Untertitel des Stückes »Eine Komödie von deutscher Seele« mitschwingt, im Absurd-Grotesken greifbar.
Besonders reizvoll ist dabei für die österreichische Regisseurin die erschreckend heutige Sprache Thomas Bernhards und seine schonungslose Figurenzeichnung. Denn jede Figur ist auf irgendeine Weise von irgendjemandem abhängig, worin schon das geschlossene System sichtbar wird: Clara ist von Vera und Rudolph abhängig, weil sie am Rollstuhl gefesselt ist und so rein physisch dem monströsen Familienkäfig nicht entkommen kann. Vera ist von ihrem Bruder abhängig, weil sie ohne ihn mittellos wäre, er Familienersatz und Partner ist. Rudolf ist seinerseits von der Verschwiegenheit seiner Schwestern abhängig und auch von Himmler, seinem »Idol«: Von ihm erhielt er einen falschen Pass, dank dessen er untertauchen konnte und nur deshalb noch am Leben ist. So konnte auch die braune Ideologie überleben.
Regie Susanne Lietzow
Bühne/Kostüme Aurel Lenfert
Musik Gilbert Handler
Dramaturgie Maiko Miske
Mit
Iris Albrecht Vera,
Susi Wirth Clara
Thomas Schneider Rudolf Höller
Reservierung und Kauf an der Theaterkasse telefonisch: (0391) 40 490 490,
online: www.theater-magdeburg.de oder per Mail: kasse@theater-magdeburg.de