In turbulenten und politisch angespannten Zeiten fragt URBÄNG!: Wie und wo können Bürger*innen sich Gehör verschaffen? Wie sehen wirkungsvolle Strategien zur Partizipation im politischen Diskurs aus? Kann die Bühne eine Plattform der Beteiligung für alle Bürger*innen sein – oder zumindest für die 8 Prozent der Bevölkerung, die regelmäßig ins Theater gehen?
Als Gastgeberin für internationale Künstler*innen und für geschätzte Kolleg*innen aus der direkten Umgebung lädt die FREIHANDELSZONE auch 2019 wieder zu außergewöhnlichen Performances, Konzerten, Begegnungen und Diskussionsrunden ein. Von Mittwoch bis Samstag ist das Orangerie-Theater im Kölner Volksgarten wieder Festivalzentrum, Tummelplatz, Unterkunft und Basislager. Austausch und Kommunikation stehen im Zentrum der eingeladenen Produktionen, Begegnungen mit Neuem und Unbekanntem sind gewollt!#
Programm
Mittwoch, 09. Oktober 2019
18:30 – 19:30 Uhr Crashkurs Gebärdensprache
20:00 Uhr Wojtek Ziemilski, Wojciech Pustoła/Nowy Teatr (Polen): Jeden Gest
Ein Stück über Zeichensprache, ein Stück über die Kommunikation mit der Welt – mit der Welt des Hörens und mit der Welt der anderen Gehörlosen. Wie funktioniert Kommunikation? Wie werden Wissen, Emotionen und Kultur vermittelt, produziert und verarbeitet? Wenn die Sprache die einzige Realität ist, zu der wir Zugang haben („Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, wie Wittgenstein sagte), was können wir dann von den Sprachen der Gehörlosen über die Welt lernen? Was ist universell an ihrer Erfahrung mit der Kommunikation, und was ist einzigartig? Und wie kommt es, dass keiner meiner Freunde taube Freunde hat?
Im Anschluss IT'S YOUR TURN Gespräch mit Künstler*innen der Produktion „Jeden Gest“
Donnerstag, 10. Oktober 2019
19:30 Uhr Bodhi Project (Österreich) & Stephanie Thiersch: Kritter
Die österreichische Company Bodhi Project versammelt exzellente junge Tänzer*innen und hat 2019 Stephanie Theirsch eingeladen, ein Stück mit ihnen zu entwickeln. Thierschs Interesse als Choreographin richtet sich immer auf den Körper im Prozess der Transformation und auf eine Konfrontation der Kontexte. Ihre Körper sind weder das eine noch das andere. „Kritter" wirft einen Blick auf die ambivalente Beziehung des Menschen zu seiner Natürlichkeit. Zwischen Utopie, Dystopie und dem Nichts erforschen sie Strategien des „Unruhig bleibens" (Donna Haraway), die die Idee der individuellen Selbstverwirklichung in Frage stellen.
21:00 Uhr Sashko Brama & Ensemble (Ukraine): Herbst auf dem Pluto
Sashko Brama und Ensemble fragen in „Herbst auf dem Pluto“ was unser Leben im hohen Alter ausmacht. Dafür haben sie intensiv mit den Menschen gesprochen, denen kaum einer mehr zuhört. In Altersheimen der Ukraine erzählten ihnen die Bewohner*innen über ihre Sehnsüchte, Ängste und Träume. Aus dem dokumentarischen Material strickte der viel umjubelte Regisseur Sashko Brama einen atmosphärisch packenden Theaterabend. Mit großen Puppen, einem energetischen Ensemble und feinem Sounddesign nimmt er die Zuschauer mit zu dieser vergessenen Generation, die er auf den fernen Planeten Pluto ansiedelt. Nach dem Gastspiel beim Berliner Theatertreffen 2019 ist dieses engagierte Plädoyer für mehr Empathie in der Gesellschaft zum ersten Mal in NRW zu sehen.
Freitag, 11. Oktober 2019
FEMALE GAZE? Performance/Diskussion/ Konzert
19:30 Uhr Claire Vivianne Sobottke (Berlin): Velvet
Claire Vivianne Sobottkes neues Solo „Velvet“ breitet sich in einem Miniaturgarten aus. Die Berliner Choreografin schafft zur Musik von Tian Rotteveel eine Reihe sich ständig verändernder Portraits, mit denen sie Normen des Sehens und Denkens herausfordert. Unter einem elektronischen Symphoniegewitter entsteht ein irisierendes, irritierendes Subjekt, das sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht. In „Velvet“ untersucht Sobottke Konzepte des Weiblichen und deren Verkörperungen zwischen erdverbundener Nacktheit und radikaler Einsamkeit. Atemlose Körperlichkeit und potentiell gewaltvolle Bilder lösen sich in poetischer Behutsamkeit auf. Kompromisslos erzählt Sobottke von nicht kategorisierbarer Erotik, wilder Unabhängigkeit und der Solidarität mit Nicht-Menschlichem und Abgründigem.
20:30 Uhr Angelica Summer Konzert
Angelica Summer ist eine LGBTQ+ Singer-Songwriterin und Performancekünstlerin aus Bulgarien. Als Pionierin der queer culture in Sofias Underground Szene, spürt sie in ihren Texten den Themen Gender und Sexualität in politischen und sozialkritischen Kontexten nach. Für URBÄNG! kreiert sie im Spiel mit verschiedenen Genres einen Sound, der sich zwischen Electronic, Jazz, Ambient und Alternative bewegt und die Grenzen zwischen Genderidentitäten und Stereotypen verwischt.
21:15 Uhr Diskussion
mit: Claire Vivianne Sobottke, Tian Rotteveel, Moderation: Maja Zimmermann
Claire Vivianne Sobottke und ihr langjähriger Kollaborateur, der Komponist und Choreograf Tian Rotteveel, sprechen gemeinsam mit der Dramaturgin Maja Zimmermann über (künstlerisches) Begehren aus feministischer Perspektive, jenseits gängiger Kategorien des Weiblichen oder Männlichen. Gibt es explizit weibliche Perspektiven auf Erotik und Sexualität und wie sehen diese aus? Können das Poetische und Irrationale Räume öffnen, um über Verkörperungen nachzudenken und bestehende Normierungen in Frage zu stellen? Stephanie Thiersch und MOUVOIR laden Künstler*innen jedweden Geschlechts ein, Einsichten, Aussichten und Absichten feministischer Kunst zu zeigen oder zu verstecken. Kuratiert in Zusammenarbeit mit Maja Zimmermann.
Samstag, 12. Oktober 2019
17:30 und 20:30 Uhr ULTIMA VEZ / Seppe Baeyens (Belgien): INVITED
Eine Gruppe unterschiedlicher Menschen trifft sich zu einer Performance. Aber wo bleiben die Tänzer*innen? Ein älterer Mann steht auf und beginnt zu tanzen. Ein Kind folgt. Die Sitznachbar*innen stehen ebenfalls auf. Sind sie die eigentlichen Tänzer*innen? Wer ist hier Publikum und wer Performer*in? Seppe Baeyens und sein generationsübergreifendes Ensemble machen das Publikum während der Vorstellung unmerklich zu Ko-Autor*innen. Unterstützt durch ein 65 Meter langes Seil – „The Rope“ – und eine starke Live-Band entwirft INVITED mit professionellen und nicht professionellen Darstellern eine Gesellschaftsutopie: Wie können unterschiedliche Perspektiven und Ideen zu einem gemeinsamen Kunstwerk werden? Und wie schafft man Bedingungen dafür, dass jede*r ermutigt wird, sich (gesellschaftlich) einzubringen?
Das Projekt lädt zum Mitmachen ein und überzeugt sogar Menschen, die Mitmachtheater nicht mögen! Und: Die Vorstellungen sind ausdrücklich auch für Kinder und Jugendliche geeignet.
Täglich, Mittwoch, 09. Oktober bis Samstag, 12. Oktober 2019
Der Garten des Orangerie Theaters ist ein fantastischer Ort, um vor und nach den Vorstellungen Festival-Atmosphäre zu genießen. Dieses Jahr machen wir ihn mit Unterstützung der Klostergärtnerei der Alexianer zum verwunschenen URBÄNG!-Dschungel: Zwischen Gräsern, Hecken, Bäumen und Blumen entstehen lauschige Plätze und idyllische Ecken – die perfekte Umgebung für Begegnung und Kommunikation, für Ruhe und Kontemplation, für Burger und Sauvignon. Inmitten der Pflanzen öffnet der URBÄNG! Truck seine Türen für die Besucher*innen, und ein musikalisches Programm mit kleinen Interventionen und ungewöhnlichen Arrangements wird zum Sound des URBÄNG!-Dschungels.
WEHR51: WHITE CUBE
09. / 10. / 11.10., 18:00 Uhr (open end)
12.10., 16.30 Uhr (open end)
Wir leben in einer Welt, in der die ständige Ablenkung durch digitale Medien unseren gesamten Tagesablauf begleitet. Fast jeder hat auf der Straße, im Auto, in der Bahn oder an der Haltestelle ein Smartphone zur Hand. Jedes Live-Erlebnis wird dokumentiert und in irgendeinem sozialen Netzwerk gepostet. Der gesenkte Blick ist längst Normalzustand, der rechte Daumen im Dauereinsatz. Real ist nur, was dokumentiert wird und Realität ohne den Zugang zur virtuellen Welt langweilig und fad. Hier setzt das Kunstprojekt WATCHOUT! Mit seinem WHITE CUBE an: Menschen wird die Gelegenheit gegeben, 10 Minuten in einem großen, weißen Würfel auf einem Stuhl sitzend zu verbringen. Das Smartphone haben sie am Eingang abgegeben und betreten technikfrei den Raum. Alleine, nur auf sich zurückgeworfen, erhalten sie die Gelegenheit sich selber 10 Minuten ohne Ablenkung auszuhalten, zu erforschen, zu erspüren, sich zu langweilen. Sind wir dazu noch in der Lage? Setzt dieser Versuch Energien frei oder ist das Zurück-geworfen-sein auf sich selbst in der digitalen Welt unsinnig, überschätzt?
REICHRICHTER: Gelände/Geviert/II
09. / 10. / 11.10., 18:00 Uhr (open end)
12.10., 16.30 Uhr (open end)
Überall stemmen sich Designer, Politiker, Aktivisten, Künstler gegen Gentrifizierung, die Mutation der Stadt zum Anlagedepot und den Zerfall des öffentlichen Raums. Aber wie steht es um das Haus als der fundamentalen Zelle des urbanen Gewebes selbst? Ist es unberührt geblieben in seiner ursprünglichen Funktion oder existiert das heile Haus nur noch in Märchenbüchern? Die Installation Gelände / Geviert / II lässt sich als Report über die Lage des menschlichen Hauses im 21. Jahrhundert lesen. Ein Modell im Maßstab 1:20 aus dunklem Archiv-Karton zeigt “Verdi”, das aktuelle Produkt einer US-Immobiliengesellschaft, die seit den 1960ern im kargen Südkalifornien den Traum vom perfekten Wohnen vermarktet. Die Maße des Modells wurden von REICHRICHTER aus einem Online-Portal des Konzerns extrahiert. An der Stelle des Home Cinema im Wohnzimmer des Hauses befindet sich im Modell ein Mini-Monitor auf dem eine Plansequenz durch dieses virtuelle Haus zu sehen ist.
www.urbäng.de
Weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie unter www.freihandelszone.org