Im April 2013 wird in Linz das neue Musiktheater eröffnet – an einem neuralgischen Erinnerungsort der österreichischen Geschichte. 75 Jahre nach dem sogenannten „Anschluss“, der den Beginn der NS-Herrschaft in Österreich 1938 markiert, überlappen sich an dieser Stelle Vergangenheit und Gegenwart. Adolf Hitler hatte in den Plänen zur „Patenstadt Linz“ eben denselben Ort an der Linzer Blumau für einen Opernplatz vorgesehen, an dem ein „Führermuseum“, eine Bibliothek, ein Konzerthaus, ein Operettentheater wie auch ein Opernhaus für rund 2000 Personen erbaut werden sollten. Daran anschließend war eine Prachtstraße geplant, flankiert von Arkadengängen, einem Schauspielhaus, einem Varieté, Theaterrestaurants, Cafés sowie einem naturwissenschaftlichen und einem volkskundlichen Museum. Das Totalitäre dieser Architektur kann mit historischer Distanz betrachtet werden, zumal es zu keiner derartigen Umsetzung kam. Die Ideologie dahinter fordert aber neuerlich zu einer notwendigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf – insbesondere in Erinnerung an den 12. März 1938, an dem der „Führer“ unter Jubel in Linz empfangen wurde.
Das Linzer Landestheater hat daher zehn Autorinnen und Autoren unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichsten Alters beauftragt, über den „Anschluss“ zu reflektieren. Unter dem Titel „Land der Lämmer“ entstand ein vielschichtiges Feld von Texten. Wie in einem Kaleidoskop fixieren die Autorinnen und Autoren unterschiedliche Brennpunkte des historischen Ereignisses, das als Geschichtsspur bis in die Gegenwart führt.
„Anschluss“. Ein Wort, das aus der Sprache gefallen ist. Das sich nur mehr aussprechen lässt, um es selbst als Problemwort auszustellen. Zwischen Anführungszeichen. Kein problemloses Aussprechen, gerade dort, wo es eine Harmlosigkeit vortäuscht. Die Sprache hat ihre Geschichte. Wie lässt sich also darüber sprechen? Heute. Über „den Anschluss“, der ja immer auch einen bestimmten Artikel verlangt. Nicht irgendein Anschluss kommt hier zur Sprache, sondern nur der eine. Ein ausschließlicher Anschluss. Aber was wird hier in diesem Anschlusssprechen angeschlossen? Und was wird ausgeschlossen? Und wer schließt hier überhaupt etwas an? Denn das Verb des Anschließens hält offen, ob es aktiv oder passiv verwendet werden will. Also, um es genauer zu fragen: Schließt man selbst an, oder wird man angeschlossen? Hier stellt sich die Gretchenfrage der österreichischen Republiksgeschichte. Jene nach dem Opfer, das ja auch nicht irgendein Opfer ist, sondern das „erste“. Eine numerische Vorrangstellung gegenüber anderen Geschichtsopfern. Ein Opferstatus, der hier auf dem Spiel steht. Aber die Opferung wirft Fragen auf, bis in die Gegenwart. Denn wie schreibt sich die Rhetorik der Opferung in die österreichische Sprache ein? Eine Opfersprache seither? Ein Sprachopfer der Aufarbeitungsverweigerung? Oder des Überdrusses? Ja, ein Satz, der allzu oft in den aufarbeitenden Mund genommen wurde! Denn wie viel Aufarbeitung verlangt eine Vergangenheit? Nun, eine Vergangenheit kann gar nichts verlangen, sofern sie vergangen ist, also ist es eine Gegenwartsbewältigung, dieses Geschichtsbefragen.
(Thomas Arzt)
Die Autoren und die Stücke
Falk Richter *1969 in Hamburg
„My Secret Garden“
Mieze Medusa *1975 in Schwetzingen, aufgewachsen in Oberösterreich
„Kein Anschluss unter dieser Nummer“
Gerhild Steinbuch *1983 in Mödling
„Dunkelstein“
Franzobel *1957 in Vöcklabruck
„Die Zischsuppe - ein Ansatz zum Anschluss“
Michel Vinaver *1927 in Paris
„Der Besuch des österreichischen Kanzlers in der Schweiz“
Thomas Arzt *1983 in Schlierbach
„Mauthausen“
Betty Shamieh *1974 in San Francisco
„Das lachende Echo“
Barbara Grinberg *1961 in Paris
“Das Blut des Achten Tages”
Marin Crimp *1956 Dartford/ Kent (Großbritannien)
„Kein Anschluss“
Auftragswerke des Landestheaters Linz
Inszenierung Gerhard Willert
Bühne und Kostüme Alexandra Pitz
Musik Wolfgang ‚Fadi’ Dorninger
Dramaturgie Kathrin Bieligk/ Thomas Arzt
Wissenschaftliche Beratung Regina Thumser-Wöhs
Eva-Maria Aichner
Bettina Buchholz
Katharina Hofmann
Barbara Novotny
Katharina Vötter
Thomas Bammer
Georg Bonn
Sven-Christian Habich
Sebastian Hufschmidt
Stefan Matousch
Erich Josef Langwiesner
Joachim Rathke
Weitere Termine 20. und 22. März; 2., 5., 6., 19. und 27. April 2013 jeweils 19.30 Uhr und
13. April um 17.00 Uhr
Aus Anlass der Premiere Land der Lämmer am 16. März hat das Landestheater in der ganzen Stadt Kooperationspartner gesucht, die die Vorstellungen mit Begleitveranstaltungen flankieren. Schon vor der Premiere wird im Kepler Salon am 11. März die Frage gestellt: Was können Kunst, Wissenschaft, Politik in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus beitragen und leisten?
Am 15. und 16. März findet dann im Landestheater Linz ein vom Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz organisiertes Symposium zum Theater im Nationalsozialismus statt, das auch der Öffentlichkeit zugänglich ist. Und am Morgen nach der Premiere diskutieren Regieteam und AutorInnen von Land der Lämmer im Kepler Salon mit dem Publikum