Thomas Bernhard hat mit seiner Literatur, seinen Theaterstücken, seinem Blick in die österreichische Seele seinerzeit für Erstaunen, Entrüstung und Aufruhr, aber auch für vehemente Zustimmung im ganzen Land gesorgt. Dass er "über den Tellerrand" hinaus schaute, um in seinem Heimatland umso klarer zu sehen, zeigen seine schon fast vergessenen Meisterstücke, die Dramolette.
„Der deutsche Mittagstisch“ in Wien, aus aktuellem Anlass? Die Figuren seiner Dramolette, Nachbarn, Mitbürger und Menschen wie du und ich, erzählen, scheinbar heiter und gelassen, unspektakulär aufregend wie schnell die Grenzen unserer Demokratien aufgeweicht werden, wie schmal der Grat ist zwischen Arglosigkeit und Aggression, Alltagsgeplänkel und Neofaschismus, Drohen und Zuschlagen... Und er zeigt die Ursachen des Hasses auf die Fremden, die "Saupresse", auf alle, die da anders sind, sich wehren oder von einer anderen, besseren Welt träumen: große Einsamkeit, geschürte Ängste, Verletzlichkeit, Frustration und – nicht zuletzt – zunehmender Egoismus.
„Der deutsche Mittagstisch“ ist ein kleines, hellsichtiges Meisterstück, dessen tragische Aktualität alarmiert. "Lauter Nazis..." kommen zutage wenn man die Suppe auslöffelt, die Bernhard mit seinem Mittagstisch serviert. Was idyllisch beginnt, führt zu bösem Erwachen. Vergnüglich und erschreckend zugleich.
In A Doda halten zwei Frauen abends auf dem Heimweg einen großen Gegenstand auf dem Feld zunächst für einen Toten, dann entdecken sie, dass es eine Packpapierrolle ist, in der Hakenkreuzplakate eingeschlagen sind. In Maiandacht beklagen zwei Nachbarinnen den Tod eines Dorfhonoratioren, dessen Verdienste sie überschwänglich rühmen, obwohl er in Wahrheit ein übler Geschäftemacher und Leuteschinder war. Match führt am Feierabend ins Schlafzimmer eines Polizisten, der von einem Demonstrationseinsatz heimgekommen ist. Zwei weitere Dramolette zeigen die Welt der unbelehrten, reuelosen Täter von damals: In Freispruch feiert in seiner Villa am Rhein ein KZ-Massenmörder mit Champagner im Kreis der Familie und der beiden Richter, die die Anklage gegen ihn niedergeschlagen haben. In Eis schwelgen zwei deutsche Ministerpräsidenten mit Frauen an der Nordsee in heroischen Kriegserinnerungen, bis sie in Gestalt eines türkischen Eisverkäufers ein wenig heroisches Ende ereilt. Alles oder nichts karikiert schließlich die Anbiederungswut unserer Spitzenpolitiker, während sie sich dem Ritual eines Fernsehquiz unterwerfen. Und Der deutsche Mittagstisch versammelt die monströse Familie Bernhard, achtundneunzig Personen stark, zur guten alten deutschen Nudelsuppe, die sich je länger je mehr als Nazisuppe erweist.
Regie: Claus Peymann
Bühnenbild: Achim Freyer
Kostüme: Margit Koppendorfer
Dramaturgie: Jutta Ferbers
Bühnenbild Mitarbeit: Victoria Philipp
Licht: Ulrich Eh
A DODA
Ulli Maier (erste Frau)
Lore Stefanek (zweite Frau)
MATCH
Robert Joseph Bartl (Kroll)
Sandra Cervik (Maria)
MAIANDACHT
Ulli Maier (erste Nachbarin)
Traute Hoess (zweite Nachbarin)
André Pohl (Totengräber)
Robert Joseph Bartl (Pfarrer)
Raphael von Bargen, Marcus Bluhm, Sandra Cervik, Michael König, Lore Stefanek, Bernhard Schir (Türken)
FREISPRUCH
Michael König (Herr Sütterlin, Gerichtspräsident und Massenmörder)
Bernhard Schir (Herr Hueber, stellvertretender Gerichtspräsident und Massenmörder)
André Pohl (Herr Mühlfenzl, Gerichtsrat und Massenmörder)
Lore Stefanek (Frau Sütterliln, Schulrätin)
Traute Hoess (Frau Hueber, Lehrerin)
Sandra Cervik (Frau Mühlfenzl, Stadträtin)
Ulli Maier (Mädchen)
EIS
Michael König (erster Ministerpräsident)
Traute Hoess (erste Frau)
Robert Joseph Bartl (zweiter Ministerpräsident)
Ulli Maier (zweite Frau)
Raphael von Bargen (Eisverkäufer)
ALLES ODER NICHTS
Raphael von Bargen, Marcus Bluhm, André Pohl (Die Spitzen unseres Staates)
Sandra Cervik (Das Fräulein Redepennig)
Lore Stepanek (Kanapee, ein Pekinese)
Bernhard Schir (Der sogenannte Moderator)
Michael König (Herr Gürgens)
DER DEUTSCHE MITTAGSTISCH
Michael König (Herr Bernhard
Ensemble (Frau Bernhard, ihre Töchter, ihre Söhne, ihre Enkel, ihre Urenkel, die Jüngste der Urenkel, der Älteste der Urenkel, der zweitälteste Urenkel, der älteste Enkel, die jüngste Enkelin, der drittälteste Urenkel)
Vorstellungstermine bis 4. Juni 2021
September: 17. (Prem.), 18., 21. (18h), 24., 25., 28.
Oktober: 7., 17., 18. (15h u. 19.30h), 23., 28.
November: 5., 14., 15. (15h), 18., 23.
Dezember: 1., 2., 9., 15., 21., 19.
jeweils 19.30h