Im postsowjetischen Raum hat sich ein (fiktiver) Staat namens Karkasien die Unabhängigkeit erkämpft. Karkasien seinerseits befindet sich im dauerhaften Krieg mit den Vertretern einer sog. drosdanischen Teilbevölkerung, die als ethnisch-religiöse Minderheit innerhalb der neuen Staatsfindung noch einmal eigene Separationsziele verfolgt, die die karkasische Regierung mit Militäreinsatz zu verhindern sucht.
Es kommt zu Verhandlungen. Die Drosdaner fordern den Abzug der Regierungstruppen, die Freilassung der politischen Gefangenen,' die Anerkennung der Drosdanischen Volksvertretung als offzielle Vertretung ihres Bevölkerungsanteils. Zudem den Stopp der Vergabe von Schürfrechten in Bezug auf Rohstoffvorkommen in drosdanischen Bergwerken (die Karkasen wollen, aus wirtschaftlichen Überlebensgründen, die Amerikaner ins Boot holen), sowie Stopp der Ausbeutung der drosdanischen Arbeiter in den Chromminen. Sie fordern auf einer weiteren Ebene ihre kulturelle und religiöse Autonomie, also z. B. Schulunterricht in eigener Sprache für die drosdanischen Kinder.
Die Vertreter Karkasiens ihrerseits fordern als Bedingung für jegliche weiteren Verhandlungen von den Drosdanen die Aufgabe der terroristischen Aktivitäten, wie z.B. die Entführung ausländischer Touristen oder die Drohung, die Bergwerke zu sprengen, bzw. Attentate und terroristische Anschläge jeglicher Art. Beide Parteien verhandeln mit internationaler Unterstützung - mal im Geheimen, mal offiziell- am runden Tisch. Fortschritte und Rückschläge dieser Verhandlungen zeigt der Autor David Edgar in einer hochkomplexen und gleichzeitig sehr anschaulich-spannenden Weise.
David Edgars fiktiver ,Fall' Karkasien ist natürlich angelehnt an die tatsächlichen Unabhängigkeitskämpfe der Länder der ehemaligen Sowjetunion (hier wäre insbesondere Georgien-Abchasien zu nennen), enthält jedoch auch Aspekte, die in fast jedem ethnisch-nationalen Konflikt zu beobachten sind, ¬auf dem Balkan, aber auch in Nahost, Afghanistan oder in Südafrika, denn ethnisch-religiöse Auseinandersetzungen, ökonomische Verteilungskämpfe und die Provokation durch Unterdrückung von kultureller Identität einer Minderheit erzeugen überall auf der Welt eine ähnlich Form der Kriegsführung.
Edgars Stück lässt uns insofern teilhaben an einer komplexen Diskussion politischer Zusammenhänge, an einem harten Verhandlungspoker um ein friedliches Zusammenleben in multi-ethnischen Räumen.
Ein besonderer Reiz des Stückes liegt nun darin, es an einen Ort zu tragen, der tatsächlich ein politisches Forum darstellt. Einen Glücksfall für dieses Vorhaben bietet die Zusammenarbeit des LTTs mit dem Kreis Tübingen, durch die es möglich wird, im neuen Landratsamt in Tübingen zu spielen.
Hier ist es möglich, die Politik, die im Stück verhandelt wird, durch das Theater an die Bürger von Stadt und Kreis direkt heranzutragen. Die Räumlichkeiten des Landratsamtes sind dafür optimal: Mit dem dortigen Plenarsaal, mit den Fraktionsräumen, dem Foyer, der Tiefgarage und Außen bereichen bildet dieser politischer Originalort ein theatrales Forum für die politischen Handlungs- und Diskussionslinien des Stückes.