Laut krachend bricht eine Steinmauer zusammen. Die Bühne verwandelt sich in eine staubige Abbruchhalde, mitunter an eine antike Ruine erinnernd. Darüber stöckelt eine ätherische Schönheit, voller Verletzlichkeit und zugleich kapriziös. Prinzessinnenhaft kommandiert sie ihre Partner herum. Mal will sie umarmt und festgehalten werden, aber nicht so, sondern anders, dann tauchen Berührungsängste auf und sie verscheucht ihre Männer. Schließlich lässt sie sich mit matschigen Tomaten bewerfen, bis sie durchfeuchtet und wie von Blut verschmiert ist. Sie wird im Laufe des Abends noch mehrmals wie eine verlorene Seele über das Steinmeer laufen, aber auch als glamouröse Abenderscheinung auftreten.
Auf den Steinen wird schön eingedeckt für ein nobles Picknick: weißes Tischtuch, Weinglas, Leuchter, deliziöses Mahl. Auftritt eines pfiffigen Hundes, der in nobler, durchaus gesitteter Weise das Essen verputzt, um dann gemessen, aber unverzüglich wieder abzutreten.
Die Ruinenlandschaft wird zum Badeort, dann zur Müllkippe, wo sich in geschlossener Reihe die ganze Tanzgesellschaft ihres Zivilisationsballasts entledigt.
Eine dunkelhäutige Schönheit liebt es weiß, sie schmiert sich Zucker um den Mund, fordert ihren Partner dazu auf, sie zu küssen. Später erzählt sie von ihren Kindheitserlebnissen, als sie und ihr Bruder die besten Schneebälle formten und den Schnee so sehr liebten, dass sie ihn für den Sommer im Kühlfach aufbewahrten. Wieder schmiert sie sich Zucker auf den Mund und dann bietet sie ihn in ihrer Handfläche wie eine Koksdealerin den Zuschauern in der ersten Reihe an.
Eine Frau hält ein Bündel ungekochter Spaghetti in der Hand. Immer wieder betont sie, dass sie davon nichts abgibt, nicht eine einzige Spaghettistange, nein keine einzige, weil sie alle, alle ihr gehören, jede einzelne.
Ein Athlet, der sich Fleisch von seinem (präparierten) Arm säbelt, um es auf der Heizfläche eines Bügeleisens zu braten und zu verspeisen, in einer späteren Sequenz werden dann darauf Spiegeleier gebraten. Immer wieder versteckt er sich in einem spindeldürren Spind, mutiert von einem Boxer in rotem Bademantel, zur Drag-Queen, die sich mal als Adam mit Schlange und Apfel präsentiert, um sich dann zur personifizierten feder¬geschmückten Freiheitsstatue zu verwandeln.
Neben diesen und vielen anderen kleinen Episoden, die einzelne Tänzer in den Vordergrund stellen, gibt es immer wieder Gruppenformationen, so schreiten etwa zum Schluss die Tänzer in einer strikt nach Männern und Frauen getrennten Gruppe, untergehakt, im Wechselschritt, zu einer Art sizilianischer Trauermusik über die Bühne. Beerdigung von Mafiaopfern?
Pina Bausch hat eine ganz eigene Ausdrucksart, für die ihr Tanztheater von den Zuschauern über alles geliebt wird. So gibt es auch in "Palermo Palermo" typische Elemente, die in ihren Stücken immer wieder auftauchen, wie z.B. das Erzählen von Märchen und kleinen Geschichten, bestimmte Handbewegungen, die Integration der langen Haare in die Tanzbewegungen, ein besonderes über die Bühneschreiten, ein auf dem Trocknen Schwimmender, oder der Papierschnee. Ihr Theater ist ein Assoziationstheater, eine Reihe von getanzten Gedankensplittern.
“Palermo, Palermo”, am 17. Dezember 1989 uraufgeführt und in Zusammenarbeit mit dem Teatro Biondo-Stabile di Palermo entstanden, wurde jetzt anlässlich des "Internationalen Tanzfestivals NRW 2008, Tanztheater 3 Wochen mit Pina Bausch" am Düsseldorfer Schauspielhaus aufgeführt. Es ist kein fröhliches, sondern ein melancholisches Stück, trotz einiger humorvoller Episoden. Was assoziiert man mit der sizilianischen Hauptstadt Palermo? Etwa Mafia, Sonnenbrille, Tomaten, Machogehabe, Gewehr, Gewalt und Müll, Ruinen und heruntergekommene Gebäude, die italienische Mamma, die sizilianische Schönheit, Spaghetti. Und diese Klischees werden auch in "Palermo Palermo" bedient. Alles dies taucht auf, aber in was für einer Verwandlung! So erzählen denn die vielen kleinen Episoden auch nicht nur von einem Ort namens Palermo, vielmehr zeigen sie die Verletzlichkeit des Menschen, seine Ängste, Bedürfnisse, sein Bestreben nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.
Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch
Bühne: Peter Pabst
Kostüme: Marion Cito
Musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert
Tänzer/innen: Regina Advento, Pablo Aran Gimeno, Rainer Behr, Andrey Berezin, Clèmentine Deluy, Silvia Farias Heredia, Barbara Kaufmann, Thusnelda Mercy, Ditta Miranda Jasjfi, Nayoung Kim, Daphnis Kokkinos, Eddie Martinez, Dominique Mercy, Pascal Merighi, Cristiana Morganti, Nazareth Panadero, Jorge Puerta Armenta, Jean Laurent Sasportes, Franko Schmidt, Azusa Seyama, Julie Shanahan, Julie Anne Stanzak, Michael Strecker, Fernando Suels Mendoza, Aida Vainieri, Anna Wehsarg
Musik aus Sizilien, Süditalien, Afrika, Japan, Schottland, Renaissance-Musik, Blues und Jazz aus Amerika, Musik von Paganini, Grieg u.a.
In Kooperation mit dem Teatro Biondo-Stabile di Palermo und Andres Neumann International.
Foto: Francesco Carbone
"Palermo Palermo" Pina Bausch
Internationales Tanzfestival NRW 2008, Tanztheater 3 Wochen mit Pina Bausch