Der Prinz von Homburg quält sich mit der Frage, ob das alles ein Traum war, oder ob er es im Halbschlaf wirklich erlebt hat. Nämlich, dass ihm der Kurfürst, in dessen Dienst er immer wieder gegen die Schweden in den Krieg zieht, den Siegeskranz wegnahm und seiner Nichte Natalie übergab. Einen Handschuh der jungen Dame hält der Prinz beim Erwachen in der Hand. Er verliert sich nun in seine Mutmassungen und seine aufkeimenden Gefühle für das schöne Mädchen. Bei der Befehlsausgabe für die bevorstehende Schlacht überhört er die Weisung, dass er nur auf ausdrückliche Order ins Kriegsgeschehen eingreifen dürfe. Er stürzt sich mit seiner Reiterei eigenmächtig in den Kampf. Den Sieg erringt er zwar, aber die Missachtung der preussischen Befehlsordnung zieht automatisch die schwerste Strafe nach sich. Der Prinz wird vor ein Kriegsgericht gestellt und entgeht der Hinrichtung nur durch Natalies Fürbitte beim Kurfürsten, und zwar in letzter Minute, nachdem er alle Phasen der entsetzlichsten Todesangst durchlitten hat
Um dieses Gerüst wuchert Kleists grosses, wildes Stück über Krieg und Liebe, Ordnung und Chaos, Verstand und Gefühl, Bewusstsein und Verträumtheit. Kleist bleibt zweihundert Jahre nach seiner Lebenszeit für seine Leser und Zuschauer eine Herausforderung. Denn die Ebenen, auf denen wir Menschen unser Leben einrichten, unsere mühsam aufgestellten Koordinaten gleiten bei ihm ineinander, Wachsein und Traumwelt verweben sich, Bewusstsein wechselt mit Ohnmachten, die Gefühle werden von den gesellschaftlichen Zwängen beengt, die Zwänge von den Gefühlen ad absurdum geführt. Das alles ohne Entscheidung, ohne Erlösung. Im besten Fall wird die Lebenskraft nicht vollständig zerrieben von den mächtigen Blöcken der Gegensätze. Und immer ist Krieg bei Kleist, immer wütet irgendein Krieg, die Entartung der männlichen Ordnungsmacht, und droht mit Vernichtung.
Der Regisseur Jürgen Gosch hat sich in letzter Zeit in Düsseldorf und Hamburg intensiv mit Heinrich von Kleist auseinandergesetzt. Für das Düsseldorfer Schauspielhaus inszenierte er im Frühling 2000 das "Käthchen von Heilbronn". Ein grosser Erfolg, eine beglückende Vorstellung. Ein Regisseur auf der höchsten Stufe seiner Meisterschaft, der mit radikaler Reduktion der äusseren Bühnenmittel und grandioser Personenführung die Substanz des Stückes leuchten liess.
Noch konsequenter ging er den Weg der Entäusserlichung bei "Prinz Friedrich von Homburg". Alles nur noch schwarz-weiss. Die Bühne ein riesiger tiefschwarzer, leerer Kasten, der nur durch einen schwerbeweglichen Riesenrahmen aus vier Eisenstangen etwas gegliedert wird. Die Männer tragen weisse Hemden und schwarze Hosen, die Frauen schwarze Blusen und weisse Röcke (Bühne und Kostüme Johannes Schütz). Im "Käthchen" gab es noch Stühle, die hie und da als Ruhesitze Inseln im wildbewegten Geschehen schufen. Hier gibt es nichts Verweilendes mehr. Die Handlung ist einer hektischen Schnelligkeit unterworfen. Das ist ein dauerndes Rennen, ein Taumeln, ein Zusammenrotten und Auseinanderstreben, ein wildes Greifen und Abstossen, eine nach Luft schnappende Atemlosigkeit. Auch Kleists Sprache, die im "Käthchen" so klar erstrahlte, ist hier auf einer beschleunigten Höllenfahrt. Sie wird hinausgestossen, hinausgeschleudert und geschrien in einer Eile, die den Zuschauer ratlos macht. Was bei Kleist immer ersichtlich ist, nämlich die männlichen Hierarchien und die weiblichen Beeinflussungsversuche, die aufbrechenden Gefühle und Probleme, alles geht auf in einer rasenden Hast. Gosch hat diesmal Kleists Verwirrspiele vielfach überdreht und ins halsbrecherische Extrem getrieben.
Michael Abendroth ist ein ewig ruheloser, verunsícherter Kurfürst, der jeden Satz so schnell von sich wirft, als hasse er jedes Wort. Devid Striesow durchwühlt die vielen Gefühlsschwankungen des Prinzen und seine Loyalitätskonflikte im Zeitrafferduktus und kommt kaum dazu, eine wirkliche Individualität zu entwickeln. Genauso ergeht es der begleitenden männlichen Kämpferschar, genauso ergeht es Anke Schubert als Kurfürstin. Birgit Stöger ist eine starke Persönlichkeit, hie und da gibt sie ihrer wie elektrisch aufgeladenen Natalie einen Schimmer von Humanität.
Premiere am 27. September 2002 im Düsseldorfer Schauspielhaus, Grosses Haus