Wer übernimmt in diesem Land eigentlich die Verantwortung? An die Strände werden Leichen gespült, dorthin, wo sich die Bürger*innen sonst sonnen. Zahllose unverwandte, anonyme, fremde Körper. Der Chor fragt sich, wen diese Toten etwas angehen. Etwa ihn selbst, die Bürger*innen, oder Kreon, den Herrscher?
Das Fundament der heimischen Demokratie ist fragil, weiß der Chor. Möglicherweise wird es einstürzen angesichts zu vieler fremder Leichen? Kreon zumindest will von ihnen nichts wissen, es sind nicht seine Toten. Aber Antigone fühlt sich verantwortlich: Sie packt die Körper aus den eilig herbeigeschafften Säcken und schleift sie in die Stadt. Die Diskussion um den Umgang mit den herangespülten Namenlosen, nicht Identifizierbaren, spaltet Theben.
Nicht der tote Bruder steht im Zentrum dieser „Rekomposition“, wie Autor Thomas Köck sein Stück antigone. ein requiem bezeichnet. In seiner Bearbeitung des antiken Stoffes von Sophokles entwickelt sich der Konflikt zwischen Kreon und Antigone zu einem Diskurs über Menschenrechte, Werte und politische Praxis. Denn Kreon sieht keine Verantwortung an dem Schicksal dieser Toten. Vielmehr steht ihm der Sinn nach einer neuen, neoliberal geprägten Zeit, die den Staat aus seiner sozialen Verantwortung entbindet und Macht bei ihm bündelt.
Auch Autor Wolfram Lotz stellt die Frage nach der Erwartungshaltung an unsere „Volksvertreter“. Sein großes Sprachgedicht Die Politiker sammelt all die hohen und hohlen Ansprüche, die wir an „die Politiker“ stellen. In Wortkaskaden ergießt sich das, was sie können, müssen, dürfen, sollen, nicht sollen und nicht dürfen und überhaupt nicht dürfen, über uns und bohrt sich immer tiefer ins Gehör und ins Gehirn. Und ins Privatleben. Denn am Ende sind wir auch Politiker*innen unserer selbst.
Lotz’ Text, ausdrücklich verfasst zur Kombination mit anderen Theaterstücken, verbindet sich an diesem Abend mit Köcks Antiken-Neukomposition.
antigone. ein requiem / Die Politiker
von Thomas Köck / Wolfram Lotz
Regie: Franz-Xaver Mayr
Mit: Jele Brückner, Konstantin Bühler, William Cooper, Anna Drexler, Michael Lippold, Jing Xiang
Regie: Franz-Xaver Mayr
Bühne: Michela Flück
Kostüm: Korbinian Schmidt
Musik: Matija Schellander
Lichtdesign: Wolfgang Macher
Dramaturgie: Vasco Boenisch
Chor: Konstantin Bühler
Antigone: Anna Drexler
Ismene / Haimon: William Cooper
Kreon: Michael Lippold
Botin: Jing Xiang
Eurydike / Teiresias: Jele Brückner