Mit dem Beginn des Tanztheaterstücks "Sacre – The Rite of Spring" lässt Raimund Hoghe sich viel Zeit. Auf der Bühne liegen zwei Körper (Raimund Hoghe und Lorenzo de Brabandere) im rechten Winkel mit dem Gesicht auf dem Boden und mit den Füßen übereinander. Das Licht wird ganz allmählich heruntergedimmt, bis es ganz dunkel wird und aus dem Off die Stimme Strawinskys über die Uraufführung von "Sacre du Printemps" berichtet. Mit Einsetzen der Musik bewegen sich die beiden Tänzer langsam überwiegend linear über die Bühne, nur manchmal unterbrochen von kleinen rundläufigen Spurts von de Brabandere über eine fast leere Bühne, die nur mit einer Grünpflanze in der rechten hinteren Ecke und einer Wasserschüssel auf der linken Seite bestückt ist. Die Choreographie nimmt subtil zur Musik Bezug, ohne jedoch der vorgegebenen Rhythmik zu folgen.
Hoghe arbeitet in seinem Stück ganz stark mit Kontrasten. Zur dynamischen Musik Strawinskys setzt er äußerst langsame Bewegungen in einfacher, reduzierter Formensprache. Zwei Männer näheren sich einander an. Ein großer, junger, gut gebauter, in relaxter Haltung und in Sportkleidung steht im Gegensatz zu einem kleinen, alten, körperlich deformierten, mit Körperspannung und im Anzug. Sie berühren sich behutsam mit den Händen, nehmen Kontakt auf und führen Bewegungen aus, die mitunter jedoch wie Kontaktimprovisations- oder Gymnastikübungen wirken. Das zieht sich anfangs etwas zu lange hin, bis dann allmählich mehr Spannung in das Stück kommt.
Raimund Hoghe inszeniert in "Sacre" nicht das Ritual des Frühlingsopfers, die archaische Geschichte von der Opferung eines jungen Mädchens lässt er außen vor und steht damit im Gegensatz zu allen anderen Inszenierungen des Stückes. Gleichwohl finden auch bei ihm Rituale statt, in den sich wiederholenden Gesten und Bewegungsabläufen, ebenso wie beim Eintauchen beider Hände und Gesichter in eine Wasserschale, womit szenisch auf ein indisches Hochzeitsrituals angespielt wird, bei dem sich die beiden sich bis dato unbekannten Ehepartner erstmals körperlich berühren, indem sie gemeinsam in einem Wasserbecken nach einer Figur fischen. Auch die Geste der Ausbreitung eines roten quadratischen Japanpapiertuches hat etwas Rituelles an sich.
Hoghe ist ganz eindeutig derjenige, der die Bühne beherrscht und scheinbar Anweisungen an seinen jungen Partner gibt. So wandelt sich das Opferritual in ein Initiationsritual. Zu Ende des Stückes ertönt wieder die Stimme Strawinskys vom Band, der sich an die Entstehung seines "Sacre du Printemps" erinnert.
Raimund Hoghe war zehn Jahre lang, von 1980 bis 1990, Dramaturg beim Tanztheater Wuppertal von Pina Bausch. Seit 1989 entwickelt er eigene Theaterproduktionen, für die er zahlreiche Preise erhalten hat. Auch "Sacre – The Rite of Spring" findet offenbar einhellige Zustimmung. Gelobt wird Hoghe vor allem wegen des Abweichens von den gängigen Normen von Perfektion, körperlicher Schönheit und Virtuosität und bei "Sacre" eben auch vom Abweichen von der Vorlage. Das kann interessant und überaus spannend sein, wenn denn das Zusammenspiel der Protagonisten kraftvoll genug ist. Lorenzo de Brabendere wirkte dagegen etwas zu relaxt, um ein Spannungsfeld erzeugen zu können. Die gestrige Aufführung wirkte daher nur fade und erinnerte partienweise an Übungskurse in der Volkshochschule.
Konzept: Raimund Hoghe; Musik: Igor Strawinsky; Choreografie, Tanz: Raimund Hoghe, Lorenzo De Brabandere; künstlerische Mitarbeit: Luca Giacomo Schulte; Lichtdesign: Raimund Hoghe, Erik Houllier; Ton: Frank Strätker.
Vorstellung 7.12.2006