Wen fesseln sie nicht, die Dramen oder die Momente der Tristesse, die sich an den Nachbartischen ereignen? Wer wird im Café nicht zum Voyeur? Wer freut sich nicht über die theatralen Miniaturen, die sich dort jeden Tag in unendlicher Zahl abspielen? Was geht da am Nachbartisch eigentlich vor, ist das schon unsichtbares Theater oder noch der Alltag und was lauert da eigentlich unter dem harmlosen Geplänkel?
Jakob Nolte, einer der kuriosesten Humoristen der jungen deutschsprachigen Literatur, schöpft aus dem Kaffeehaus als Biotop des Skurrilen seinen intimen Dialog zweier Frauen, der 2016 im Rahmen der Autorentheatertage als bestes deutschsprachiges Stück ausgezeichnet und danach am Deutschen Theater Berlin uraufgeführt wurde. Die Versuchsanordnung wirkt auf den ersten Blick simpel: Zwei alte Freundinnen treffen sich zum Kaffee und unterhalten sich. Vermeintliche Alltagsthemen, mehr braucht Nolte nicht für eine sprühende Komödie. Allerdings erlebt man in dieser Konversation einen scheinbaren Alltag an der Grenze zum Irrsinn, indem Realität und Fiktion, Fake und Wahrheit nur noch schwer zu unterscheiden sind.
Offensichtlich haben sich Anna Krachgarten und Elisabeth Mishima eine Weile nicht gesehen, zunächst beschnuppert man sich ein wenig, bleibt im ungefährlichen Small Talk vorerst in Deckung, bis das Gespräch in Gang kommt. Denn eigentlich kennt man sich sehr genau, weiß um Humor und wunde Punkte. Schnell fallen beide in die lang eingespielten Beziehungsmuster. Perfekt verstehen sie es, ihr Gegenüber zu reizen. Präzise schießen sie unter der Oberfläche des freundschaftlichen Gesprächs verbale Pfeile über den Tisch.
Nach einem einschneidenden Erlebnis, das für Anna eine Auszeit nötig machte, ist sie gerade aus dem Urlaub zurückgekommen. An der Ägäis hatte sie Erholung gesucht, im Liegestuhl am Strand wollte sie die Seele baumeln und den Gedanken freien Lauf lassen. Doch der Urlaub verlief vollkommen anders als erwartet. Wieder zurück daheim, vermischt sich das Unterbewusste mit den irritierenden Bildern im eigenen Gedächtnis und die Erinnerung droht als fiktionale Konstruktion entlarvt zu werden. Oder doch nicht? Und war es nicht eigentlich doch die Adria und nicht die Ägäis, an der die Kürbisse plötzlich so seltsame Geräusche machten?
Von beiden Seiten des Kaffeetischs werden bald immer genussvoller die konfliktträchtigsten Gesprächsthemen angeschnitten. Woran arbeitet Elisabeth Mishima eigentlich tatsächlich? Handelt es sich um seriöse Forschung oder beschäftigt die Physikerin sich in Wahrheit mit der Entwicklung einer futuristischen Waffe?
Jakob Nolte, geboren 1988 in Niedersachsen, begann seine Karriere als Teil des Autorenduos Nolte Decar, das für seine absurd-verspielten Stücke verschiedene wichtige Preise gewann. Zuletzt wurde sein Roman »Schreckliche Gewalten« für den Deutschen Buchpreis 2017 nominiert und Nolte vom Wochenmagazin DIE ZEIT als »hochbegabt« gefeiert, sein Schreiben sei »seminaristisch, klugscheißerisch, kokett, angeberhaft, blutrünstig, morbid, grausam, seltsam romantisch und vor allem aber todkomisch«. Seit 2013 experimentiert er humorvoll, fast satirisch mit der Form des klassischen Konversationsstücks. Sein »Gespräch wegen der Kürbisse« unterläuft augenzwinkernd alle Konventionen üblicher Spannungsdramaturgie und zeichnet mit wunderbar verschrobenem Humor das Porträt einer Freundschaft am Rande des Zusammenbruchs. In Zeiten, in denen die Grenzen von Wahrheit und Fiktion so durchlässig wie noch nie zu sein scheinen, taugt Noltes kurioses Werk zum Stück der Stunde.
Marco Štorman, geboren 1980 in Slowenien, aufgewachsen in Graz und Hamburg, inszenierte seit 2015 am Schauspielhaus mit großem Erfolg die Uraufführung »Kudlich« von Thomas Köck und die Deutschsprachige Erstaufführung von Chris Thorpes »Möglicherweise gab es einen Zwischenfall«. Seit 2009 ist er freier Regisseur und wurde 2013 mit seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks »Winterreise« am Stadttheater Klagenfurt zum Festival für junge Regie »radikal jung« in München eingeladen. Seitdem inszenierte er u. a. am Hamburger Thalia Theater, Staatsschauspiel Dresden, Theater Bremen, an der Staatsoper Stuttgart sowie im Rahmen der »Münchener Biennale für neues Musiktheater«. Seit 2016 ist er Hausregisseur für Musiktheater am Theater Luzern, wo er in diesem Jahr die Oper »No Future Forever« auf Basis eines Textes von Jakob Nolte realisierte.
Autor: Jakob Nolte
Regie: Marco Štorman
Sounddesign: Moritz Löwe
Dramaturgie: Tobias Schuster
Besetzung: Sophia Löffler, Vassilissa Reznikoff
Di 21.11.
GESPRÄCH WEGEN DER KÜRBISSE
20:00 Nachbarhaus
Do 30.11.
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20:00 Nachbarhaus
Do 07.12.
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20:00 Nachbarhaus
Di 12.12.
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20:00 Nachbarhaus
Di 09.01.
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20:00 Nachbarhaus
Do 18.01.
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20:00 Nachbarhaus
Do 25.01.
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20:00 Nachbarhaus
Fr 26.01.
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20:00 Nachbarhaus