Das Land hat einen neuen Herrscher. Hamlet, Sohn des toten Königs und dessen neu vermählter Gattin, sieht sich unversehens einer Situation gegenüber, in der alle großen Wert darauf legen, dass das Leben so weiter geht wie bisher. Er selbst ist wie gelähmt. Das Vergangene ist ihm unklar, deshalb bleibt ihm die Gegenwart rätselhaft. So richtet er den Blick auf sich
selbst, aber statt hier, in seiner scheinbar wohl bekannten Innenwelt, Halt und
Orientierung zu finden, führt ihn sein Forschen spiralförmig immer weiter in die
Erkenntnis, dass er selbst Teil jener Außenwelt ist, die er zu erhellen sich bemüht, dass er Subjekt und Objekt seiner eigenen Wahrheitssuche ist, die ihn geraden Wegs in die Katastrophe führt.
Für ihren Zugriff auf den vor allem durch Shakespeares Tragödie bekannten Stoff wählte Hausregisseurin Claudia Meyer die auf die königliche(n) Familienbande verdichtete Bearbeitung "Hamlet. Der Tag der Morde" von Bernard-Marie Koltès. Das 1974 geschriebene Stück des französischen Autors kombiniert sie mit Heiner Müllers 1977 entstandenem sprachmächtigen Monologblock "Die Hamletmaschine". Über die Montage der beiden Texte verbindet sie zwei unterschiedliche Blickwinkel auf die Geschichte des Dänenprinzen, die in der Dopplung der Hamlet-Figur auch szenisch ihre Umsetzung finden. Sich selbst historisch geworden, betrachtet sich Hamlet bei Müller in der Vergangenheit, von außen. Er ist nicht mehr Teil lebendig wirkender Geschichte, sondern begreift sich ausschließlich als Objekt radikaler Selbstreflexion, wird zu einer erbarmungslosen Denk-Maschine.
Demgegenüber ist Hamlet bei Koltès (wie auch bei Shakespeare) noch Teil der Handlung, verstrickt in seine Familienbande, fokussiert auf die Lösung der mit ihr verbundenen Widersprüche und Lügen. Die Spannung zwischen diesen beiden Konzeptionen der Figur sowie deren Zerrissenheit möchte Claudia Meyer, die in Zusammenarbeit mit Vera Koch auch das Bühnenbild für die Inszenierung entwickelt hat, auf dem Theater erfahrbar machen. Dabei steht für sie nicht die Kriminalgeschichte, die Aufklärung des Mordes an Hamlets Vater, im Vordergrund. Vielmehr richtet sie die Aufmerksamkeit auf die Aspekte einer Familienhölle, in der alle Mitglieder Opfer und Täter sein können, und auf den Motor ihrer Taten. Der Titel "no roof access" (Kein Zugang zum Dach) - ein Hinweisschild, das sich in vielen Hochhäusern findet - eröffnet Gedankenspielraum. Ist es der Weg ins Freie, der sich verbietet beziehungsweise verboten worden ist (von wem?) oder soll dem Individuum eine auch für andere gefährliche Suizidmöglichkeit verwehrt werden -oder hängt beides gar zusammen...?
Claudia Meyer (Regie) / Michael Schäfermeyer (Dramaturgie) / Claudia Meyer, Vera Koch (Bühne) / Andrea Schelling (Kostüme) / Marcus Schmickler (Musik)
Weitere Vorstellungen: 26.10., 19 Uhr; 8.11., 19.30 Uhr, 18.11., 19.30 Uhr; 29.11., 19 Uhr _______________________________