1898 zum evangelischen Glauben konvertiert, beschäftigte sich Arnold Schönberg angesichts des in ganz Europa zunehmenden Antisemitismus Anfang der 1920er Jahre immer intensiver mit der Religion seiner Väter, wovon nicht nur seine Oper Moses und Aron, sondern auch das Oratorium für Soli, Chor und Orchester Die Jakobsleiter oder das 1927 vollendete Schauspiel Der biblische Weg ein beredtes Zeugnis ablegen. In Der biblische Weg thematisiert Schönberg die Vision von der Errichtung eines neuen Staates der Juden außerhalb Europas und nimmt damit eine zentrale Idee des von Theodor Herzl (1860-1904) begründeten modernen politischen Zionismus auf.
Ähnlich wie Herzl sah sich auch Schönberg in fast messianischer Weise berufen: Den 1909 mit den Drei Klavierstücken op. 11 und der Vertonung von Fünfzehn Gedichten aus »Das Buch der hängenden Gärten« von Stefan George op. 15 vollzogenen Verzicht auf die tonale Gebundenheit empfand Schönberg nicht als Traditionsbruch, sondern vielmehr als logischen Schritt in einer sich schon lange vorher anbahnenden Entwicklung – als eine regelrechte Mission, zu deren Erfüllung niemand anderes als er selbst auserwählt worden war: »Einer hat’s sein müssen, keiner hat’s sein wollen; da hab’ ich mich halt dazu hergegeben«, so Schönberg.
Die Auseinandersetzung mit dem biblischen Propheten Moses, der das Volk der Israeliten auf dem langen Weg ins gelobte Land immer wieder aufs Neue für den »einzigen, wahren Gott« begeistern muss, beginnt bereits in den frühen 1920er Jahren und beschäftigt den Komponisten die folgenden Jahrzehnte bis ans Ende seines Lebens. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlässt Schönberg im Mai 1933 mit seiner Familie Berlin – im Gepäck die in Berlin vollendeten ersten zwei Akte der dreiaktig geplanten Oper, komponiert in der von ihm selbst entwickelten »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen«, kurz Zwölftontechnik oder Dodekaphonie genannt. In Paris vollzieht Schönberg dann die Rückkehr in die jüdische Glaubensgemeinschaft, bevor er im Oktober in die USA weiterreist, wo er bis an sein Lebensende 1951 bleiben wird. Der letzte Akt seines Werkes bleibt – trotz wiederholter Absichtsbekundungen – bis zum Ende seines Lebens unvertont.
Bei Schönberg ist Moses auf die Hilfe seines Bruders Aron angewiesen, um die abstrakte Gottesidee in verständliche Worte und Bilder zu fassen. Aron ist der Zauberer, der wortgewandt und trickreich das wankelmütige Volk davon zu überzeugen weiß, Moses und seinem so andersartigen Gott zu folgen. Aber verändern, ja verderben Arons Worte und Zaubertricks nicht bereits die reine Idee, die in Worte zu fassen Moses so unmöglich erscheint? – Schönbergs Oper wird zum packenden Musikdrama über die nie endende Suche des Menschen nach Antworten, über seine unstillbare Sehnsucht nach dem »Land, in dem Milch und Honig fließen«. Dass sie ein Torso bleiben musste, liegt womöglich in der Thematik des Stückes selbst begründet: Denn nicht nur der Widerspruch zwischen Moses und seinem Bruder Aron ist letztlich unauflösbar. Auch die ewige Suche nach dem »gelobten Land« kann – für Schönberg ebenso wie für das jüdische Volk, das im übertragenen Sinne für die gesamte Menschheit steht – am Ende nur unerfüllt bleiben. So ist es vermutlich kein Zufall, dass neben der Zwölftonoper Moses und Aron auch das Oratorium Die Jakobsleiter Fragment bleibt. Theodor Herzl hat die Gründung des Staates Israel nicht mehr erlebt. Und selbst Moses hat das gelobte Land nie betreten …
Arnold Schönbergs Moses und Aron ist eine Oper, die eine besondere Herausforderung für jedes Opernhaus darstellt: mehr als 200 Personen auf der Bühne, unzählige Proben für den geheimen Star des Stücks – den Chor –, eine hochkomplexe Partitur, die das Äußerste von Sängern und Musikern fordert. Mit der Inszenierung der Oper, die 1930 bis 1932 in Berlin entstand, aber erst posthum 1954/1957 als zweiaktiger Torso uraufgeführt wurde, bringt Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky Moses und Aron nun erstmals an die Komische Oper Berlin, als einmaliges Projekt: Nur sechs Aufführungen sind angesetzt. Damit erfüllt sich Barrie Kosky den rund 25 Jahre alten Wunsch, Schönbergs Opernfragment zu inszenieren. Die musikalische Leitung übernimmt der russische Dirigent Vladimir Jurowski, der seine internationale Karriere vor über 20 Jahren am Haus in der Behrenstraße begann. Auch er gibt sein Moses und Aron-Debüt. Als Moses ist Robert Hayward zu erleben, die Partie des Aron übernimmt Andreas Conrad. Die Chorsolisten der Komischen Oper Berlin werden bei dem Mammutprojekt verstärkt vom Vocalconsort Berlin.
Oper in zwei Akten [1957]
Text vom Komponisten
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Inszenierung: Barrie Kosky
Bühnenbild und Licht: Klaus Grünberg
Kostüme: Klaus Bruns
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Künstlerische Mitarbeit: Susanna Goldberg
Chöre: David Cavelius
Chor
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin, Vocalconsort Berlin
Moses
Robert Hayward
Aron
Andreas Conrad
Junges Mädchen / 1. nackte Jungfrau
Julia Giebel
Junger Mann
Michael Pflumm
Ephraimit / anderer Mann
Tom Erik Lie
Priester
Jens Larsen
Nackter Jüngling
Johannes Dunz
Eine Kranke / 3. nackte Jungfrau
Karolina Gumos
2. nackte Jungfrau
N. N.
Weitere Termine: 24. und 28. April
2. und 10. Mai
7. Juli
Kartentelefon (030) 47 99 74 00 | Mo bis Sa: 9 bis 20 Uhr, So- und Feiertage: 14 bis 20 Uhr
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