Es handelt sich dabei um ein eigenartiges Gebilde aus verschiedenen Baumstämmen. Große Gemälde in Goldrahmen wecken Kunst-Assoziationen und werden wiederholt über die Bühne getragen und an immer anderen Orten neu aufgestellt. Selbst an Karl Mays "Winnetou" wird in einer Art Siegfried-Reminiszenz erinnert. Hier wird unter anderem dargestellt, wie Siegfried den Drachen tötet. Storman scheut sich auch nicht, Assoziationen zu Wagner-Inszenierungen der Vergangenheit zu wecken. So wird im Programmheft eine Stuttgarter Inszenierung von Otto Krauß aus dem Jahre 1935 erwähnt, die die NS-Kulturpolitik konsequent umsetzte. Ereignisse und Sichtweisen werden klug hinterfragt. Auch der Philosoph Ernst Bloch ist hier mit dem Aufsatz "Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage" zu finden.
Vieles an dieser durchaus einfallsreichen Inszenierung wirkt surrealistisch. Nebelwolken hüllen die Bühne von Demian Wohler in eine undurchsichtige Aura. Die Kostüme von Sara Schwartz erinnern ebenfalls an die Vergangenheit, wenn etwa Brünnhildes Helm auf einer Skulptur zu finden ist. Brünnhilde selbst wird bei einer Auseinandersetzung mit Waltraute diesen Helm wütend vom Sockel stoßen. Und nach dem Liebesglück mit Brünnhilde am Brünnhildenfelsen fällt Siegfried einer üblen Zaubertrank-Intrige zum Opfer, die ihn seine Liebe zu dieser Frau schnell vergessen lässt.
Die Gibichungenhalle setzt sich hier aus verschiedenen Orten zusammen. Es gibt neben den riesigen Holzsäulen auch ein Podest mit Mikrofonen, in die der reichlich verwirrte König Gunther hineinspricht. Sein Halbbruder Hagen hat von Anfang an Finsteres im Spiel - und er versteht es ausgezeichnet, den reichlich naiven und auch einfältigen Siegfried zu manipulieren und hinters Licht zu führen. Waltraute tritt mit einer gelben Fahne auf und macht ihrer Schwester Brünnhilde heftige Vorwürfe, die darauf reichlich unwirsch reagiert. Wenn am Ende des ersten Aktes Brünnhilde von Siegfried mit der Tarnkappe überwältigt wird, sieht man dieses Geschehen nicht auf offener Bühne.
Im zweiten Akt lässt Storman Alberich und Hagen vom selben Sänger singen, dabei gelingt auch ein schauspielerischer Coup. Die anschließende Mannenszene mit Hagen besitzt durchaus Spannungsmomente, die sich immer mehr steigern. Brünnhilde schleudert ihren Racheschwur gegen Siegfried in der Menge aus, sie wird von den Menschen geradezu eingekreist. Auch auf der Empore erneuert sie ihre Vorwürfe, schleudert Dokumente hinab.
Im dritten Akt stehen schließlich wieder die Kunstgemälde im Vordergrund, wenn Siegfried von Hagen mit dem Speer ermordet wird. Siegfried wirkt dabei wie ein Untoter, der auf dem Walkürenfelsen sein Leben beendet. Dieser Felsen fährt langsam und gespenstisch nach hinten, dann fällt der schwarze Vorhang. Wiederholt senkt sich dieser schwarze Vorhang, der Zuschauer bleibt im Ungewissen. Zuletzt sieht man bei Brünnhildes Schlussgesang Siegfried im Hintergrund auf dem gewaltigen Pferd Grane sitzen - und Brünnhilde schwingt sich zu ihm hinauf, beide reiten ekstatisch davon. Einen Feuerschein sucht man allerdings vergeblich, was eher eine Schwäche dieser Inszenierung ist. Denn dann würden die Bilder noch mehr an Farbe und Leuchtkraft gewinnen.
Das System zerspringt endgültig, wie Marco Storman meint. Und unter der sich langsam und gewaltig herabsenkenden Weltesche wird schließlich Hagen begraben, der von den Rheintöchtern symbolhaft hinabgezogen wird. Das sind starke Bilder, die manche szenische Schwächen vergessen lassen. Musikalisch besitzt diese "Götterdämmerung" viele Glanzpunkte, auch wenn manche Passagen noch präziser hervorgehoben werden könnten. Cornelius Meister betont allerdings den riesigen Themenbestand seht intensiv - auch die lyrischen Sequenzen werden mit ganz eigenwilligen Tempi ausgeleuchtet. So kommt die leitmotivische Verknüpfung nie zu kurz. Die "ewige Melodie" triumphiert hier mit leidenschaftlicher Emphase - und dies vor allem beim Liebesduett von Brünnhilde und Siegfried im Vorspiel und im Finale.
Auch die chorische Polyphonie gelingt mit dem Staatsopernchor unter der kompetenten Leitung von Manuel Pujol ganz ausgezeichnet. Cornelius Meister glättet manchmal geschickt die Härten und Kanten von Wagners "Götterdämmerung". So gehen die monumentalen Blöcke zuweilen nahtlos ineinander über. Christiane Libor gelingt es als Brünnhilde, mit strahlkräftigen Spitzentönen das Seelenleben dieser Figur eindringlich zu beschreiben, was insbesondere im kontrapunktisch kühnen Vorspiel zur Geltung kommt. Auch Daniel Kirch als Siegfried vermag seiner Rolle ein starkes Profil zu geben. Stine Marie Fischer ist als Waltraute mit ihrem tiefen, aber voluminösen Sopran eine Idealbesetzung - und auch Esther Dierkes als Gutrune sowie Shigeo Ishino als Gunther zeigen eine große gesangliche Ausdruckskraft. Eine Meisterleistung vollbringt Patrick Zielke als Alberich und Hagen in einer Person. Er vermag den Klangfarbenreichtum und die robuste Kraft dieser elementaren Figuren in hervorragender Weise zu verkörpern. Dies zeigt sich nicht nur bei der dämonischen Ausgestaltung des b-Moll-Akkordes, sondern vor allem beim Absprung von B nach F und den Tonfolgen B, E und Es. Fafners Paukenrhythmus auf Ces und F wirkt drohend. Sie deuten sehr konsequent auf Hagen als symbolische Person, die alle Fäden in den Händen hält.
In weiteren Rollen überzeugen ferner Nicole Piccolomini (erste Norn), Ida Ränzlöv (zweite Norn), Christiane Kohl (dritte Norn) sowie Eliza Boom (Woglinde), Linsey Coppens (Wellgunde) und Martina Mikelic (Floßhilde). Cornelius Meister glückt mit dem famos musizierenden Staatsorchester Stuttgart eine genaue Durchleuchtung der Motivvielfalt dieses Werkes, was auch am Schluss bei der gigantischen Übereinanderschichtung von Walküren-, Feuerzauber-, Wellen-, Walhall- und Siegfried-Motiv zur Geltung kommt. Das Liebeserlösungsthema steigert sich behutsam. So überwiegt doch noch der fast optimistische Blick in die Zukunft. Zuletzt gab es Ovationen und Jubel für das gesamte Ensemble.
Premiere am 29.1.2023