Angepasst den Bedürfnissen potenzieller Eltern, die weder Kosten scheuen noch Schranken kennen, erfährt das Kind in "sale" eine brutale Degradierung zur Ware, deren Wert von einem spezialisierten und globalisierten Wirtschaftszweig bestimmt wird. Von individuellem Kinderwunsch getrieben und durch diesen offensichtlich völlig legitimiert, existiert an den Rändern, den Übergängen zur Normalität und zum Alltäglichen ein exklusives Handelsgut. Die Produktion von Kindern ist Dienstleistung in globaler Arbeitsteilung geworden. Künstliche Befruchtung in Spanien, Eispende aus den USA, Leihmütter aus Indien usw. sind die modernen liberalen Wege zur Befriedigung des Kinderwunsches. Ende der 90er Jahre wurde Rumänien zum Supermarkt für Adoptionen in die USA, Spanien, Frankreich, Italien und Irland. Der ehemalige EU-Kommissar Verheugen sprach in diesem Zusammenhang von einer "Kinderbeschaffungspolitik". In den Zentren der Macht und des Reichtums können Kinder noch ganz konventionell per Katalog bestellt und bezahlt werden.
Das Verlangen nach einem Kind wird auch von Sergej Tretjakow in seinem 1924 entstandenen Stück „Ich will ein Kind haben" thematisiert. Hier ist es die vorbildliche Kulturfunktionärin Milda, die allerdings erst für die richtigen Voraussetzungen sorgen muss: der Erzeuger des Wunschkindes soll gesund und zu 100% Proletarier sein; wenn die Empfängnis vollzogen ist, ist der Vater nicht länger nötig. Er wird von Milda bloß als Mittel zur Erlangung der Mutterschaft gesehen, ganz pragmatisch und rational - aber keineswegs zynisch - als (Re-)Produzent engagiert. In Mildas neuem Begehren vereinigen sich ihr individueller Wunsch nach einem Kind und ihr Eifer zur Gestaltung einer neuen Gesellschaft. Sie ist eine Pionierin, der Prototyp der modernen sowjetischen Frau, die sich über moralische Schranken hinwegsetzt und sich selbst und ihre Bedürfnisse in den Dienst einer programmatischen Utopie stellt.
Die Kombination von "Ich will ein Kind haben", inszeniert von Konstanze Schmitt, mit der Stückentwicklung "sale" in der Regie von Dirk Cieslak setzt die beiden divergierenden Konzepte vom Kind als Ware und Produkt ins Verhältnis: Was darf man und was darf man nicht!
Die Vierte Welt versteht sich als von Künstlern selbstorganisierte Produktionsplattform und Veranstaltungsort. Wir stellen uns die Aufgabe, eine neue kollaborative Praxis zu entwickeln. Unweigerlich erhebt sich daraus die Frage nach unserer Menschlichkeit – und die nach
einem gesellschaftlichem Konzept, dem wir vertrauen und dem wir die Kinder
aussetzen. Was darf man und was darf man nicht?
sale
Regie: Dirk Cieslak,
Darstellerin Mariel Jana Supka,
Video Ana Ticak
Ich will ein Kind haben
Regie: Konstanze Schmitt,
Darstellerin: Antje Widdra
Raum Olf Kreisel |
Kostüm: Anika Schmitz |
Technik: Florian Guist |
Produktion: Hendrik Unger |
Dramaturgie: Annett Hardegen
Eine Produktion von Lubricat theatre company [at] Vierte Welt in Kollaboration mit
Konstanze Schmitt. Medienpartner: die tageszeitung
Vorstellungen: Sa.26.11. | Do. 8.12. - Sa. 10.12| Do. 19.1.12 - Sa. 21.1.12 | Fr. 27.1.12 + Sa.
28.1.12. jeweils 20 Uhr
Kartenpreise 11€/7€, HARTZ IV Empfänger und Jugendliche bis 18 Jahre 2€
Kartenbestellungen unter karten@viertewelt.de und 01578-8440941
Weitere Termine: 26.11. | 8.-10.12. | 19.-21.1.2012 | 27.+28.1.2012 | jeweils 20:00 Uhr