In einem frühen Tagebucheintrag schreibt Grillparzer über den König in diesem Drama: „Alles ist gut, da erscheint jene Jüdin, und ein Etwas wird in ihm rege, von dessen Daseyn er bis jetzt noch keine Ahnung gehabt: die Wollust. … Ungeheure Gärung in seinem Innern.“
Bereits die ersten Worte der Jüdin Rahel bezeugen ihre provokante Neugierde und ihre impulsive Lebenslust. Allen Warnungen zum Trotz stürmt sie in den für Juden verbotenen Garten zu Toledo und wirft sich dem Königspaar zu Füßen. Die Königin wendet sich irritiert ab, der König aber erliegt ihrem Zauber und Charme und bietet ihr Schutz an. Er lässt sie wegführen, um sie vor dem Volk in Sicherheit zu bringen. Aber König Alfonso, jung verheiratet und unerfahren in Liebesdingen, kann nicht von ihr lassen. Der König wankt zwischen persönlicher Leidenschaft und politischer Verantwortung angesichts des äußeren Feindes, der Gefahr durch die Mauren. In dieser Situation übernehmen die eifersüchtige Königin und die Standesherren des Reiches die politischen Aufgaben und entscheiden: Die Jüdin muss weg. Im Taumel zwischen leidenschaftlicher Hingabe und Abkehr von dieser Frau, im halbherzigen Versuch den moralischen und politischen Aufgaben gerecht zu werden, liefert der König letztlich die
junge Jüdin Rahel den kalten Machtmechanismen des Staates aus. Rahel wird hingerichtet.
Trotz dieser tragischen Wendung sind viele Szenen des Stückes – auf Grund des ambivalenten Verhaltens des Königs – mitunter auch komisch. Etwa die Umklammerung des Königs durch Rahel, die Flucht des Königs in ein „Hinterzimmer“, das Aufklärungsgespräch zwischen König und Garceran und den sich daraus ergebenden trivialen, sexuellen Fantasien.
In der Jüdin von Toledo schreibt der Germanist Alfred Doppler, hat Grillparzer nicht nur die Ambivalenz von Liebe und Hass, von Erotik und Destruktionstrieb dargestellt, sondern er hat auch vorweggenommen, was Freud über die Bedeutung der inneren und der äußeren Feinde für den Zusammenschluss einer Gemeinschaft ironisch vermerkt: „Das überall hin versprengte Volk der Juden“, schreibt Freud nicht ohne Ironie in „Unbehagen in der Kultur“, „hat sich anerkennenswerte Verdienste um die Kulturen der Wirtsvölker erworben; leider haben alle Judengemetzel des Mittelalters nicht ausgereicht, dieses Zeitalter friedlicher und sicherer für seine christlichen Genossen zu gestalten.“
Zu den Juden, die im Land „hier und da misshandelt“ werden und deren Verfolgung Rahel in Todesangst versetzt, tritt bei Grillparzer als äußerer Feind, der die Ordnung festigen hilft, der grimmige Maure. Dass der Jude Isaak mit dem antisemitischen Klischee des feigen, geldgierigen und ehrlosen Menschen versehen ist, wird sowohl durch den Ausspruch des Königs motiviert („Was sie verunziert, es ist unser Werk;“) als auch durch den grotesken Gegensatz der schäbigen Tugenden, die mit der an die Juden delegierten Geldwirtschaft verbunden sind, und der großen Tugenden der Reinheit, Sittsamkeit, Ehre, Tapferkeit und der Ausrottung der Ungläubigen, wie sie von der Hofgesellschaft gepflogen werden.
Die komische Gegenüberstellung von Niedrigkeit und Tugend, von Schäbigkeit und selbstverliehener Würde verweist auf die formale Struktur des Stückes, in dem Figuren durch die Stilelemente der Tragikomödie bestimmt werden.
Inszenierung Peter Wittenberg
Bühne Florian Parbs
Kostüme Alexandra Pitz
Musik Wolfgang Siuda
Dramaturgie Franz Huber
Alfonso VIII., König von Kastilien Markus Subramaniam
Eleonore von England, dessen Gemahlin
(Tochter Heinrich des II.)
Nancy Fischer
Manrique, Graf von Lara Stefan Matousch
Don Garceran, dessen Sohn Christian Manuel Oliveira
Doña Clara, Ehrendame der Königin Jennifer Elisa Schecker
Isaak, der Jude Sebastian Hufschmidt
Esther, seine Tochter Katharina Vötter
Rahel, seine Tochter Henriette Schmidt
Alonso, ein Diener Erich Josef Langwiesner
Weitere Termine 26., 27. und 29. Septermber 2012