Peter Kerns 'Theatersommer' mit drei Uraufführungen im Düsseldorfer Schauspielhaus handelt von den spektakulären Themen Genie und Verbrechen am Rhein. Das Hauptstück schrieb er selbst über ein legendäres Original aus Düsseldorfs Kunst-Geschichte: die sogenannte 'Mutter Ey'.
Johanna Ey war ein armes, früh von zuhause verstoßenes Mädchen. Dann eine resolute junge Frau, die nach schlimmer Ehe ihre Kinder allein durchbrachte. In ihrem Bäckerladen bei der Kunstakademie verköstigte sie junge mittellose Maler mit Backwerk und Anteilnahme. Statt Geld bekam sie brandneue, völlig ungewohnte Bilder. Und sie genoss die Zuwendung der rebellischen Malgenies. Ohne Vorbildung entwickelte sie ein sicheres Gespür für künstlerische Qualität. Nach dem ersten Weltkrieg wurde mit der Zeit aus der Bäckerei eine kleine mutige moderne Galerie, die in den Zwanzigerjahren ihre Blütezeit erlebte und dann vom aufkommenden Nationalsozialismus bedroht und endlich vernichtet wurde. In beispielhafter Tapferkeit hielt sie durch, bis sie gehen musste, bis ihre fortschrittlichen, jetzt als 'entartet' verfolgten Künstler in alle Himmelsrichtungen flohen. 1945 kehrte sie nach Düsseldorf zurück, bekam eine Wohnung samt Ehrensold und lebte noch zwei Jahre, einsam, ohne das Elixier früherer Herausforderungen.
In den 'goldenen Zwanzigern' ist sie von ihren Künstlern oft gemalt worden. Jahrzehnte nach ihrem Tod wurde sie wiederentdeckt und neu beschrieben. Heinrich Böll hat ihr mit einem Prosatext das wunderschönste Denkmal gesetzt. Um auf der Bühne diesem Gegenbild zur Mutter Courage und den Künstlerkindern gerecht zu werden, bedürfte es einer Liebe wie von Heinrich Böll und einer dramatischen Kraft wie von Bertolt Brecht. Letztere ist selten und kommt im Stück des Multitalents Peter Kern eher ansatzweise zum Vorschein. Die Liebe ist umso flammender. Aber es ist eine Kernsche Liebe. Sie weicht konsequent den entscheidenden Vertiefungen aus und malt dafür in die Breite. Stimmungsbilder mit einem trotzköpfigen, manchmal wehleidigen, sexuell immer sprungbereiten Künstlervölkchen, wie es den spießigsten Stammtisch-Phantasien entspricht, aber nicht der Wirklichkeit, es sei denn in Form einer kleinformatigen Parodie.
Als Regisseur verstärkte Peter Kern die latente Ungenauigkeit, ja Unerheblichkeit seines Dramas, indem er die Hauptdarstellerin Sonja Mustoff ins konventionell Betuliche trieb. Nur am Anfang und am Schluss, wenn die alte Mutter Ey ruhig ihrem ereignisreichen Leben nachsinniert, da schimmert es auf, das Abbild einer großlinigen Person im Dienst an der künstlerischen Wahrhaftigkeit. Ihren Umkreis besetzte Kern mit mehr oder weniger geeigneten Darstellern, deren Qualitäten in seiner Regie zu selten sichtbar werden. Stattdessen kommt jede Unzulänglichkeit überdeutlich zur Geltung. Dazu ein gröbliches Bühnenbild von Karl Kneidl und eine viel zu platte Beleuchtung.
Jedoch: bei allen Einschränkungen muss man es Peter Kern zugute halten, dass er immerhin versucht, ein Stück Düsseldorfer Vergangenheit in seiner Schönheit und Schrecklichkeit theatralisch auferstehen zu lassen. Und große, mutige Künstler in ihrem Kampf gegen die faschistische Bedrohung, zusammen mit ihrer einmaligen Künstlermutter Johanna Ey.