Ihre Lebenswege sind schicksalshaft, sie wirken wie Ausgestoßene, heimat- und rastlos in ihrem Dasein, geworfen in ihre Zeit.
„Die Idee zu FREMDWERDEN resultiert aus meiner Sehnsucht, die Geschichte des 20. Jahrhunderts erzählen zu wollen. Wir versuchen ein Mosaik: Die drei Geschichten des Abends sind die ersten drei Steine. Sie handeln von Menschen, die aus ihrer Gesellschaft herausgetrieben wurden bzw. aus ihnen aktiv herausgetreten sind. Mich interessieren zum einen die Mechanismen des Ausstoßens, aber vor allem die daraus resultierende Konsequenz: Die Gesellschaft von außen zu betrachten. Das ist bei Kelly, Camus und Appelfeld der Fall. Ihre Perspektiven sind entscheidend. Scheinbar geht es um die Menschen, aber eigent-lich steht die politische Geschichte, die durch diese Men-schen erzählt wird im Mittelpunkt.
Mich faszinieren diese drei Biografien, weil sie unterschiedliche Wege des Fremdwerdens beschreiben. Für den Kel-ly-Monolog haben wir umfangreich in Archiven recherchiert. Uns interessieren dabei weniger die bekannten "Zeugenaussa-gen", sondern der Mensch hinter dem Dokumaterial. Appelfeld haben wir in Jerusalem besucht, sind auf Spurensuche durch sein Israel gefahren, haben gefilmt. Bei Camus haben wir uns für eine seiner fiktiven Figuren entschieden: Den Fremden. Mit ihm möchten wir einen Menschen, seinen Blick auf die Welt und sein Empfinden porträtieren, das von Gleich-Gültigkeit gegenüber den Dingen, die ihn umgeben, geprägt ist.“ Jarg Pataki
Albert Camus` Erzählung »Der Fremde« (1942) bildet das Zentrum des ersten Monologs. Die Hauptfigur steht für ein existentielles Lebensgefühl: das Ausgestoßensein in die Welt. Der scheinbar emotionslose Protagonist wird zum Mörder - alles scheint ihm gleichgültig, auch ein Menschenleben. Camus war ein Mensch, der zwischen den Welten lebte. Aufgewachsen in Algier, gelangte er nach seinem Studium nach Frankreich, wo er nach Kriegsbeginn in der Résistance gegen die deutschen Besatzer kämpfte.
Aharon Appelfeld kommt 1932 als einziges Kind gebildeter, wohlhabender und assimilierter Juden in der Bukowina zur Welt. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 wird Appelfelds Mutter durch rumänische Antisemiten ermordet. Kurz darauf wird er gemeinsam mit seinem Vater ins KZ Transnistria verschleppt. Dem 8-Jährigen gelingt die Flucht, und er überlebt, zwei Jahre versteckt in den rumänischen Wäldern. 1946, über Italien in das umkämpfte Palästina gelangt, ist er endgültig gerettet, aber alles dort ist ihm fremd, vor allem die neue Sprache. Über das Schreiben findet er nach und nach einen Zugang zur eigenen Vergangenheit.
Petra Kelly ist eine Leitfigur der Frauen- und Grünenbewegung. In den 70er Jahren beginnt ihre politische Karriere, die sie an die Spitze der alternativen Politszene bringt. 1979 ist sie Spitzenkandidatin bei der Europawahl, 1980 erste Parteisprecherin der von ihr mitbegründeten Partei, 1983 Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag. Doch zugleich fühlt sie sich im politischen Kampf, der ihr keine Privatsphäre mehr lässt, zunehmend isoliert. Immer häufiger wird Kelly von Panikattacken gequält. Unter nie ganz geklärten Umständen wird Petra Kelly 1992 von ihrem Lebensgefährten Gert Bastian im Schlaf erschossen.
Regie & Texte: Jarg Pataki
Ausstattung,Video, Dramaturgie: Doris Dziersk / Video, Dra-maturgie: Arved Schultze
Mit: Uta Krause (Petra Kelly)
Florian Schmidt-Gahlen (Der Fremde)
Julius Vollmer (Aharon Appelfeld)
Weitere Vorstellungen im März
Sa, 15., Do, 20., So, 30., jeweils 19 Uhr, Kammerbühne