In einem Altenheim in Kuba erzählt der 104-jährige ehemalige entlaufene Sklave Esteban Montejo dem Anfang zwanzigjährigen Ethnologen Miguel Barnet seine außergewöhnliche Lebensgeschichte. Barnet wurde 1963 durch eine Zeitungsnotiz auf ihn aufmerksam. Die Lebensgeschichte entlaufener Sklaven mussten bis dahin in das Reich der Legenden verwiesen werden. Niemand kannte sie, ohne jeglichen Kontakt zu anderen Menschen überlebten sie in den Wäldern. Auf Kuba wurden diese entlaufenen Sklaven als „Cimarrón“ bezeichnet. Mit Hans Magnus Enzensberger als Librettisten schuf Henze wenige Jahre nach den Aufzeichnungen Miguel Barnets seinen „El Cimarrón“ für einen Bariton und drei Instrumentalisten.
Bei „El Cimarrón“ handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht streng um eine Oper von Hans Werner Henze, sondern um ein Konzertstück mit szenischer Aktion. Es entstand dabei in enger Zusammenarbeit mit dem Bariton William Pearson, dem Flötisten Karl Heinz Zöller, dem Perkussionisten Stomu Yamashta und dem Gitarristen Leo Brouwer. Gemeinsam erarbeiteten sich Hans Werner Henze und die vier Musiker die autobiographischen Erzählungen der realen Erlebnisse des entlaufenen Sklaven Esteban Montejo. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist ein erschütterndes musikalisches Dokument persönlicher Erlebnisse, die das Grauen der Sklaverei eindrücklich schildert und nicht vergessen lässt. Ohne Frage eine starke und sehr persönliche Geschichte.
Die Entstehung des Werkes erfolgte wohl größtenteils über den Weg der Improvisation der vier Musiker und dem Komponisten. Ausgangspunkt und Basis bildete der Bericht Estebans.
Die improvisierten Aktionen notierte sich Henze und ließ sie in die endgültige Partitur einfließen. Dieser improvisierende Charakter der damaligen Zusammenkunft lässt sich auch heute noch im Werk erkennen und übt seine Faszination innerhalb seines musikalischen Ablaufs aus. El Cimarrón ist kein Werk für einen Solisten und drei Begleitstimmen, sondern Ausdruck und Aussage vier gleichberechtigter musikalischer Partner. Die Behandlung der solistischen Stimme verkörpert eher einen lautmalerischen Erzählstil und keine Gesangsstimme im tradierten Sinne. Die Darstellung der Skala menschlicher Emotionen erreicht Henze über Sprechgesang, Flüstern, Schreien oder Lachen.
Formal unterteilt sich „El Cimarrón“ in fünfzehn betitelte Nummern, die sich unterschiedlichen Themen aus dem Leben Estebans widmen: Die Welt, Der Cimarrón, Die Sklaverei, Die Flucht, Der Wald, Die Geister, Die falsche Freiheit, Die Frauen, Die Maschinen, Die Pfarrer, Der Aufstand, Die Schlacht von Mal Tiempo, Der schlechte Sieg, Die Freundlichkeit und Das Messer. Dabei entwickelt Henze große Spannungsbögen, die über Momente der Stille und der Einsamkeit im Wald bis hin zu heftigen Aktion reichen. Die Partitur ist stets als Subtext der Handlung zu begreifen.
Im Raum verschiedentlich aufgestellt sind die Instrumente. Damit verknüpft sich auch der jeweilige Ort der Aktion und die eigentlichen Handlung. So muss der Perkussionist stets zwischen seinen Instrumenten im Raum wechseln. Der Aktionismus der notierten Partitur übersetzt sich dabei in die Ebene des Raums. Seine stetige Interaktion und Improvisation bilden das Gerüst von „El Cimarrón“. Mit Hilfe von Requisiten, Videos und Projektionen setzt die Regie in einer weiteren künstlerischen Ebene die Geschehnisse aus dem Leben Estebans um, während die karibischen Klänge der Musiker in die unbekannte Welt des Cimarrón führen.
Sophia Simitzis
Ausstattung
Inga Timm
Video
Heta Multanen
Dramaturgie
Jens Schroth
Bariton
Hubert Wild
Flöten
Ursula Weiler
Gitarre
Daniel Göritz
Schlagzeug
Dominic Oelze
Ensemble Quillo